Vorsorgen …

15 Okt

… ist besser als heilen, hieß es und heißt es auch heute noch gelegentlich. Das war insbesondere immer im Zusammenhang mit der Werbung für die sogenannten Krebsvorsorgeuntersuchubungen zu hören.

Ich schreibe bewusst sogenannte Krebsvorsorgeuntersuchungen, da ich der Meinung bin, dass es sich überhaupt nicht um Vorsorge im eigentlichen Sinne handelt. Ich will damit nicht den Nutzen solcher Untersuchungen insgesamt in Zweifel ziehen, wäre jedoch über eine etwas differenziertere Betrachtungsweise, auch bei der Werbung für solche Angebote, froh. Deshalb dazu von mir einige Gedanken aus Patienten- und Betroffenensicht.

Der Begriff Vorsorge impliziert so etwas wie Verhinderung oder doch zumindest die Verminderung der Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung. Genau das kann aber die sogenannte Krebsvorsorge nicht leisten. Es handelt sich immer im besten Fall um Früherkennung einer bereits bestehenden Krebserkrankung oder ihrer Vorstufen. Dies ist ein wichtiger Unterschied zu anderen Vorsorgemaßnahmen, wie  Aufklärung über Risiken einer Herzkreislauferkrankung und ggf. deren Abklärung. Hier kann bei Befolgung entsprechender Ratschläge tatsächlich vorgesorgt werden in dem Sinne, dass die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung verringert wird.

Wie an anderer Stelle erwähnt, gibt es durchaus auch für Krebserkrankungen Möglichkeiten, das Risiko einer Erkrankung durch entsprechendes Verhalten herabzusetzen, auch wenn das im Einzelnen noch kontrovers diskutiert wird und man z.B. bei dem Effekt einer obst- und gemüsereichen Ernährung schon wieder Abstriche machen musste. Bei diesen Maßnahmen handelt es sich um Vorsorge im eigentlichen Sinn.

Was mich bei der Diskussion um die Krebsvorsorge, ich bleibe der Einfacheit halber mal bei dem Begriff, stört, ist zum Einen eben die Wortwahl, die bei einem nicht unerheblichen Teil derer, die die Werbung erreichen soll, die Vorstellung erweckt, es könne eine Krebserkrankung verhindert werden. Dass dies nicht so ist, darauf wird (bewusst?) kaum hingewiesen, und in Einzelfällen wird dieser falsche Eindruck sogar noch gefördert. Das hat mit dem Ziel des informierten und eigenverantwortlich handelnden Patienten nichts mehr zu tun.

Zum Anderen stört mich, dass immer nur der Aspekt der möglichst frühzeitigen Erkennung einer Erkrankung betont wird und nicht über die Folgen des gesamten Prozesses der Früherkennung für die Patienten informiert wird. Die lebhafte Diskussion auch unter Experten, wie weit und inwiefern ein tatsächlicher Nutzen für den Patienten besteht, wird in den Kampagnen wenig bis garnicht angesprochen. Auch ärztlicherseits wird hier viel zu wenig neutral informiert. Natürlich kann man sich mit diesen Informationen bei diversen Stellen, wie Krebsgesellschaft, Krebshilfe und viele anderen versorgen. In der Praxis werden das aber eher bereits Betroffene oder zumindest familär vorbelastete und sowieso bereits gut informierte Patienten tun.

Zum Patientennutzen: Die Frage, die auch unter Experten kontrovers diskutiert wird, ist: Welchen konkreten Nutzen bringt eine Krebsvorsorge und in welchem Umfang? Obwohl oft anders suggeriert, ist der Nutzen in Form der Verhinderung einer Erkrankung gleich Null. Ein Nutzen könnte darin bestehen, dass sich für den durchschnittlichen Patienten generell eine insgesamt längere Lebensdauer ergibt. Dieser Nutzen ist bisher noch nicht konkret nachgewiesen worden. Nachgewiesen aber teilweise noch umstritten ist die Verlängerung der Überlebenszeiten nach Diagnose einer bestimmten Krebserkrankung. Auch hier herrscht keineswegs Einigkeit, worauf solche Verlängerungen zurückzuführen sind. Auch die frühzeitge Erkennung einer Erkrankung und die Diagnose von Erkrankungen, die ansonsten zwar unentdeckt geblieben aber eben auch klinisch nicht relevant geworden wären, kann zu solch durchschnittlich längeren Überlebenszeiten nach Diagnose einer bestimmten Erkrankung führen. In meinem Fall bedeutet das konkret, dass, obwohl Schilddrüsenkrebs eine an sich ziemlich seltene Erkrankung ist, in Obduktionen in über 10% der Fälle (meist Mikro-)Karzinome der Schilddrüse gefunden werden, die niemals klinisch relevant geworden sind. In Deutschland wird im internationalen Vergleich relativ häufig diagnostisch in Hinsicht auf Schilddrüsenkrebs operiert, und ein Gutteil der gefundenen Karzinome sind Mikrokarzinome pT1, die mit großer Wahrscheinlichkeit nie klinisch relevant geworden wären, wenn man sie nicht entdeckt hätte. Das Gleiche gilt in viel größerem Ausmaß für den Prostatakrebs, wo in bis zu 50% der Obduzierten ein Prostatakarzinom gefunden wird. Das kann natürlich nicht für alle Krebsarten verallgemeinert werden, dürfte aber, wenn auch vermutlich in geringerem Ausmaß, auf viele zutreffen.

Leider ist es in den meisten Fällen nicht oder nur unzureichend möglich, die mögliche klinische Relevanz eines gefundenen Tumors vorherzusagen. Man wird also einerseits immer einige Tumore zusätzlich früher, und damit mit besserer Heilungchance oder längerer Überlebendauer,  erkennen, die dem Träger früher oder später gefährlich geworden wären, andererseits wird man aber auch viele Tumore finden – und oft agressiv behandeln! –  die den Träger niemals belästigt hätten. Dem Gewinn an Lebenszeit und Lebensqualität der einen, steht die vielleicht unnötige und belastende Behandlung und damit der Verlust an Lebensqualität der anderen gegenüber. Insofern ist der Nutzen aus Patientensicht eben sehr zwiespältig zu beurteilen und hängt von der Position ab, aus der man jeweils beobachtet.

Darüberhinaus ist mit den Früherkennunguntersuchungen natürlich auch eine nicht unerhebliche (im Falle der Brust- und Prostatakrebsvorsorge sehr hohe) Zahl von falsch positiven Befunden verbunden, die ihrerseits zur endgültigen Abklärung teilweise belastende und invasive Eingriffe erfordern bevor sich der ausgelöste Alarm als falsch herausstellt. Auch dies zusammen mit der psychischen Belastung in der Zeit der Unsicherheit bedeutet einen zumindest vorübergehenden Verlust an Lebensqualität und im Einzelfall ggf. auch eine anhaltende Morbidität (die ihrerseits Kosten im Gesundheitswesen und auch gesamtökonomisch verursacht).

Mir wurde von 3 verschiedenen Urologen der PSA-Test angeboten bzw. nahegelegt. Die möglichen Folgen, Biopsie ggf. Prostektomie bei einem Karzinom, dass vielleicht nie klinisch relevant geworden wäre, mit allem, was damit verbunden sein kann, wurden dabei in keinem Fall erwähnt. Ebenfalls nicht erwähnt und nur auf Nachfrage bestätigt wurden Faktoren, die einen falsch positiven Befund generieren könnten, wie Radfahren, sexuelle Aktivitäten in den letzten 24-48 Stunden vor der Blutabnahme. Auch nicht angesprochen wurden die möglichen Optionen im Falle von Werten im Graubereich (erneute Bestimmung, rektaler US, Verlaufskontrolle inklusive der damit verbundenen psychischen Belastung, Biopsie ja/nein).

Ich bin mir bewusst, dass der Ertrag einer PSA-Bestimmung als IGEL-Leistung möglicherweise durch ein vielleicht 15 minütiges Aufklärungsgespräch aufgefressen werden könnte, sehe den Verzicht auf ein solches Gespräch aber als nicht zielführend im Sinne eines auf Vertrauen basierenden Arzt-Patienten-Verhältnisses und auch nicht als kunstgerecht an.

Ich habe mich trotzdem für einen PSA-Test entschieden, den ich natürlich selbst bezahlen muss. Ich habe mich weiterhin, im Vorfeld!, entschieden bei Werten im Graubereich zunächst keiner Biopsie zuzustimmen sondern nach Bestätigung durch eine weitere Bestimmung auf jeden Fall zunächst den rektalen US und eine Verlaufskontrolle in ca. 6 monatigen Abständen anzustreben. Die notwendigen Informationen, auf denen diese Entscheidung beruht, bekam ich nur teilweise und nur auf Nachfrage von meinen Ärzten (im Wesentlichen nicht vom Urologen sondern vom Hausarzt) und zum anderen Teil aufgrund eigener Recherchen, die mir als ausgebildetem Naturwissenschaftler vermutlich leichter fallen als anderen.

Ich nehme ebenfalls das Hautkrebsscreening in Anspruch, dass mir von allen „Vorsorgeuntersuchungen“ noch am sinnvollsten und mit dem besten Patientennutzen verbunden erscheint. Und ich werde ebenfalls eine Darmspiegelung zur Darmkrebsfrüherkennung durchführen lassen.

Dass mein Zahnarzt sich regelmäßig auch meine Mundhöhle auf Auffälligkeiten hin ansieht, und dass bei den sowieso öfter fälligen Kehlkopfspiegelungen auch dort hingeschaut wird, finde ich ebenfalls höchst sinnvoll.

Für alle diese Dinge habe ich mich bewusst aufgrund von mir vorliegenden Informationen entschieden. Ich würde aber immer auch die anders geartete Entscheidung von anderen akzeptieren, bezweifle allerdings, dass dem überwiegenden Teil der Bevölkerung die Informationen, die zu einer solchen bewussten und eigenverantwortlichen Entscheidung notwendig sind, zur Verfügung stehen, und würde sogar soweit gehen, zu behaupten, dass ihnen diese Informationen teilweise bewusst vorenthalten werden. Eine Vorgehensweise im Sinne von „wir wissen schon, was für Dich gut ist“ ist m.E. nicht mit der Vorstellung von aufgeklärten und selbstverantwortlichen Patienten vereinbar.

Eine Antwort zu “Vorsorgen …”

  1. Pan Narrans 19. Oktober 2010 um 20:47 #

    Das ist ein ziemlich umstrittenes und auch empfindliches Thema. Eben auch, weil die Tests für verschiedene Krebsarten unterschiedliche Fehlerraten haben.
    Eine hilfreiche Beschreibung aus statistischer Sicht gibt’s in dem Buch
    Der Hund, der Eier legt
    Hans-Peter Beck-Bornholdt, Hans-Herrmann Dubben
    Verlag: Rowohlt Tb
    # ISBN-10: 3499611546
    # ISBN-13: 978-3499611544

    Das ist auch für Laien verständlich und gibt auch Hintergrundwissen für Meldungen a la „xx erhöht Krebsrisiko um 20%“.

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