… pro oder contra Organspende?
Das meiste der folgenden Dinge habe ich an anderen Stellen bereits in Form von Kommentaren gesagt. Ich will es aber gern hier nochmal zusammengefasst darstellen, auch im Hinblick auf meine persönlichen Entscheidungen zum Thema.
Das Thema hat für mich zwei wesentliche Aspekte, die ihrerseits auch wieder unterschiedliche Ebenen betreffen. Das eine ist meine persönliche Entscheidung und die Frage, ob ich eine treffe und welche ich treffe. Das Andere ist die Frage, ob und wie man Entscheidungen der einzelnen Menschen herbeiführen kann, soll und darf bzw. wie weit man über den Kopf der Menschen hinaus Entscheidungen treffen darf. Meine Einstellung zum zweiten Punkt hat mit meiner Entscheidung zum ersten Punkt zu tun.
Auslöser auch für mich noch mal über das Thema nachzudenken war unter anderem der Tod von mehreren vom Schilddrüsenkrebs betroffenen, die ich zwar nicht persönlich kannte, aber deren Geschichte ich mitverfolgt hatte. Wenn diese Menschen sicher auch nicht als Organspender in Frage kamen, haben mir diese Ereignisse doch bewusst gemacht, wie nahe uns der Tod ist, und dass es jeden jederzeit erwartet oder unerwartet treffen kann. Während es im vorhergehenden Beitrag noch um Dinge ging, die, wenn auch am Ende, so doch zu meinen Lebzeiten relevant sind, und auf die ich ggf. noch einen Einfluss habe und eigene Entscheidungen treffen kann, betrifft die Frage der Organspende, so denn eine solche aufgrund der Umstände überhaupt infrage kommt, ein Problem, auf das ich im Fall der Fälle ganz sicher keinen Einfluss mehr nehmen kann. Wenn ich selbst dann vorher keine Entscheidung getroffen hätte, würde ich bei der gegenwärtigen Rechtslage zwangsläufig meine Hinterbliebenen damit in einer Situation belasten, in der man gemeinhin mit einer solchen Entscheidung überfordert ist. Daher habe ich selbst eine Entscheidung getroffen und gebe meine Zustimmung für eine unbegrenzte Organentnahme, wenn dies möglich sein sollte. Ich habe daher einen Organspendeausweis entsprechend ausgefüllt, und trage diesen bei mir, meine Angehörigen sind ebenfalls entsprechend informiert. Dass eine Krebserkrankung festgestellt wurde, ist vermerkt. Ob eine Verwendung einzelner Organe möglich ist, muss dann von den Medizinern entschieden werden.
Ich habe mich dafür entschieden, nachdem ich früher als Jugendlicher eine (kurze) Phase hatte, in der ich spontan von der Idee der Organspende begeistert und dann später doch wieder etwas skeptisch war. Diese Entscheidung ist mir, auch und besonders als ausgebildeter Biologe und medizinisch nicht ganz unbeleckter Mensch, nicht leicht gefallen. Ich glaube auch, man sollte diese Entscheidung nicht wirklich leichtfertig sondern nach ausführlicher Information und gründlichem Nachdenken treffen und sich nicht durch die pauschalen und teilweise oberflächlichen Argumente der Organspendebefürworter oder auch -gegner zu einer unbedachten Entscheidung hinreißen lassen.
Ein für die Entscheidung relevanter Punkt ist die Frage des Todeszeitpunktes und der Todesfeststellung. Als gelernter Biologe habe ich naturgemäß zunächst mal ein eher mechanistisches Verhältnis zum Todeszeitpunkt.
In meinen Augen hat jede Definition eines Todeszeitpunktes Schwächen, da das Sterben und auch der Tod eines Organismus ein Prozess ist und nicht an einem Zeitpunkt festgemacht werden kann. Besonders so ein komplizierte Organismus wie ein Säugetier, und der Mensch ist eines, stirbt nicht komplett von einer Sekunde auf die andere. Während einzelne Gewebe, z.B. das Hirn oder zumindest der größte Teil davon, bereits ihre Funktion mehr oder weniger vollständig verloren haben können, heißt das keinesfalls, das auch bereits alle Zellen dieses Gewebes vollständig untergegangen sind. Auch bei einem natürlichen Tod mit Herzstillstand, bleiben viele Gewebe noch längere Zeit funktionstüchtig und ihre Zellen noch viel länger am Leben. Wenn der Oduzent schnell genug ist, kann es sogar sein, dass selbst während der Obduktion sich noch lebensfähige Zellen in einzelnen Geweben finden, die sogar in vitro kulturfähig wären. Trotzdem würde man diesen Menschen schon vorher als unwiederbringlich tot bezeichnen, weil es keinen Weg mehr zurück gibt, auch nicht in einen vegetativen, nichtbewussten Zustand. Der gesamte Übergang vom bewussten Leben in diesen unwiederbringlich toten Zustand und weiter, bis auch die letzte Zelle und danach das letzte Zellorganell endgültig seine Funktion eingebüßt hat, ist vollkommen fließend.
Ich kann mit der Hirntoddiagnostik leben, weil ich glaube, dass in dem so diagnostizierten Zustand zumindest mein bewusstes Leben mit großer Sicherheit geendet hat. Das heißt nicht, dass ich es für völlig und auf alle Zeiten ausgeschlossen halte, dass auch mal ein Mensch aus diesem Zustand zumindest in einen vegetativen Zustand zurückkehren oder sogar in ein Koma zurückkommen könnte. Dass unter Millionen von Fällen vielleicht einer darunter sein könnte wo eine Rückkehr in ein Minimalbewusstsein möglich sein kann, will ich nicht völlig ausschließen, halte es aber für extrem unwahrscheinlich. Dieses minimalen Restrisikos muss man sich sicher bei einer Entscheidung bewusst sein, und deshalb halte ich auch nicht viel von einer Widerspruchslösung, ich denke es muss eine bewusste Entscheidung für eine Organspende bleiben, auch wenn ich aus anderen Gründen meine, dass man schon versuchen sollte, mittels vernünftiger Aufklärung, auch über diese Zusammenhänge, und ggf. dem aktiven Anregen der Menschen darüber nachzudenken, zusätzliche Organspender zu gewinnen, aber eben nicht durch Überredungskünste sondern durch Aufklärung.
Dass man in den USA jetzt wieder über den Herztod als Todeszeitpunkt nachdenkt, halte ich für genauso logisch wie falsch. Der Herztod ist eigentlich nur ein Rückschritt in alte Vorstellungen von Tod, weil früher mal mit dem Herzstillstand ein unumkehrbarer Zustand verbunden war, was auch mit überkommenen Vorstellungen vom Sitz der Seele zu tun haben mag. Es gilt einfach definitiv heute nicht mehr. Ein Herzstillstand ist auch nach Minuten, bei Unterkühlung auch nach längerer Zeit noch wieder behebbar, und im Idealfall geht das Leben, zumindest funktionell und vom möglichen Bewusstseinszustand, danach weiter wie vorher.
Nach einem Null-EEG ist dies mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anders (mit den oben gemachten Einschränkungen). Insofern ist für mich die Hirntoddiagnostik im Sinne der Organspende eine sinnvolle Methode über einen Todeszeitpunkt zu entscheiden, wenn auch sicher nicht die einzige Möglichkeit den Todeszeitpunkt festzulegen.
So ist für mich, nach langem Nachdenken, der Hirntod und seine momentane Definition zu einem Zeitpunkt geworden, an dem ich mich für „tot genug“ halten kann, um meine Organe hinzugeben und damit einen weiteren, dann endgültigen, Schritt auf dem Weg zum endgültigen und absoluten Tod zu gehen, der irgendwann Stunden oder Tage später beendet sein wird.
Die Entscheidung dafür hat letztlich auch mit meiner unmittelbar zurückliegenden Geschichte zu tun, die mir bewusst gemacht hat, dass man nicht alles unter Kontrolle haben kann, sich manchmal, und zwar sogar vollkommen und mit allen – auch ggf. tödlichen – Konsequenzen, in die Hände anderer begeben und darauf vertrauen muss, dass diese ihren Teil der Arbeit nach bestem Gewissen tun werden, was, da Irren und Fehlen menschlich sind, nicht immer garantiert ist. Ich muss also darauf vertrauen, dass am vermutlichen und höchstwahrscheinlichen Ende meines Lebens verantwortungsbewusste Ärzte eine verantwortliche Entscheidung treffen werden.
Ein weiterer Grund, mich mit dem Thema auseinanderzusetzen ist die Diskussion über eine Neuregelung der Organspende, die momentan auf etlichen Ebenen geführt wird. Im Gespräch sind sowohl eine Widerspruchslösung als auch verschiedene Abstufungen einer forcierten Entscheidung um die Zahl der Organspender zu erhöhen.
Nun sehe ich durchaus ein, dass eine Erhöhung der Zahl der Organspenden sinnvoll und vielleicht auch notwendig ist, halte aber von Zwangslösungen überhaupt nichts. Allenfalls könnte ich mir vorstellen eine Lösung mitzutragen, bei der jeder bei einem bestimmten Anlass, etwa dem Erwerb des Führerscheins oder eines Personalausweises befragt wird, ob er sich ggf. als Organspender bereitstellte. Jeden Zwang allerdings, auch den Zwang überhaupt eine Entscheidung zu treffen, kann ich nicht unterstützen. Die Entscheidung für oder gegen eine Organspende muss auf jeden Fall völlig freiwillig ohne jeden Zwang nach ausführlicher und neutraler Information getroffen werden. Ich denke sogar, dass durch jegliche Ausübung von Zwang eher mehr potentielle Spender von einer positiven Entscheidung abgehalten werden als tatsächliche Spender gewonnen werden. Abgesehen davon sehe ich bei einer Widerspruchslösung verfassungsrechtliche Bedenken, die auch in dem o.a. Artikel angesprochen werden, und/oder (je nach konkreter Anwendung) Datenschutzprobleme.
Sollte es eine Entscheidung zugunsten einer mit Zwang verbundenen Lösung geben, müsste ich meine Entscheidung für die Organspende überdenken.
Die Entscheidung pro Organspende habe ich auch unter der Voraussetzung getroffen, dass diese Gabe ohne jede Vorbedingung jedermann/jederfrau, der/die eines meiner Organe bedarf, ohne jeden Unterschied zugute kommen kann. Jegliche Bevorzugung oder Benachteiligung, auch und besonders der Art, dass eine Spenderleber etwa bevorzugt „Nichtsäufern“ zur Verfügung gestellt würde, weil die „anderen sich ja ihr Problem selbst zuzuschreiben hätten“, jede Belohnung oder Bestrafung, wäre für mich ebenfalls ein Grund, die Entscheidung zu überdenken und ggf. zu widerrufen.
Auch jetzt ist es bereits schwierig geeignete Kriterien für die Vergabe zu finden. Was hat aus ethischer Sicht mehr Gewicht? Die Dringlichkeit für den Patienten (also die Wahrscheinlichkeit, dass er kurzfristig ohne Spenderorgan sterben wird) oder die „Haltbarkeit“ des Organs also die Wahrscheinlichkeit, dass das Organ im Empfänger länger überlebt und ihm daher eine längere Restlebensdauer verspricht, was bei noch „gesünderen“ Empfängern eher der Fall ist?
Darf man einem Schwerstkranken, der ohne Transplantation nur noch Tage oder Wochen zu leben hätte, ein Organ verweigern, weil es einen anderen Empfänger gibt, der zwar längerfristig ebenfalls sterben würde aber durchaus auch noch einige Zeit ohne die Spende auskäme, und dessen Zustand erwarten lässt, dass ihm das Organ mit einer höheren Wahrscheinlichkeit noch eine längere Zeit mit erträglicher Lebensqualität ermöglicht?
Es erinnert mich auch ein wenig an die Frage, wieviel darf Lebenszeit kosten?
Ist es gerechtfertigt bei einem Patienten, dessen baldiger Tod mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht, eine (sehr) teure Therapie einzusetzen, die vielleicht nur wenige Wochen oder wenige Monate zusätzlicher Lebenszeit bringt, wenn das Geld für mehrere andere Patienten zur Verbesserung der Lebensqualität eingesetzt werden könnte.
Ich habe in der Selbsthilfe erfahren, dass auch kurze zusätzliche Lebenszeit, auch unter schwierigen Umständen, für manche Patienten (nicht alle) ein sehr kostbares Gut sein kann. Ist es gerechtfertigt dafür Beträge von teilweise mehreren 10.000 EUR pro Monat auszugeben? Kann man da überhaupt Grenzen definieren? Ich möchte eigentlich keine Grenzen akzeptieren, weiß aber, dass es in der Realität bereits viele Grenzen gibt.
Ich sehe auch Probleme bei der Annahme eines fremden Organs. Die Situation wird sich aber durch einen Nichtbetroffenen niemals wirklich beurteilen lassen können. Dass gerade bei sehr erheblichen Eingriffen in die Gesundheit und Unversehrtheit sich Ansichten geradezu ins Gegenteil verkehren können, wenn der Betreffende plötzlich zu den Betroffenen gehört und auch teilweise erst noch nachdem er eine Weile betroffen war, habe ich zu verschiedenen Gelegenheiten bereits erfahren. Das betrifft z.B. die Endphase von Krebserkrankungen, wo ich einige Fälle in der Selbsthilfe mitverfolgt habe, und wo sich Ansichten über den Wert von zusätzlicher Zeit, auch unter schwierigsten Bedingungen, doch teilweise sehr stark relativiert haben, in beiden Richtungen.
Während wir uns in gesunden Zeiten vielleicht kaum vorstellen können, mit dem Organ eines Toten weiterzuleben, sieht das vermutlich ganz anders aus, wenn man ohne ein fremdes Organ totgeweiht wäre. Aber auch der umgekehrte Fall ist denkbar: Dass einem plötzlich diese Vorstellung unerträglich werden könnte.
Und im Übrigen muss man sich auch beim Empfang eines Organs auf die verantwortliche Entscheidung der behandelnden Ärzte verlassen. Nicht immer ist ein Organ, dass von der Gewebetypisierung passen würde, in einem optimalen Zustand, und es kann durchaus passieren, dass an einem Zentrum ein Organ transplantiert wird, das an mehreren anderen Zentren als ungeeignet abgelehnt wurde.
Das ganze Thema stellt sich mir als hochkomplex dar, und es scheint mir auf keinen Fall geeignet, schnelle und unbedachte Entscheidungen zu fällen oder gar zu erzwingen. Mehr und bessere, neutrale und ausgewogene Information ist notwendig, um möglichst viele Menschen anzuregen, über das Thema nachzudenken und zu einer fundierten Entscheidung für oder gegen eine Organspende zu führen, ohne sie zu überreden.
*nick* hochkomplex ist das richtige Wort… und mehr Informationen, sachlich-neutrale vor allem ebenfalls.
Ich weiß grad z.B. gar nicht mehr ob es überhaupt damals im Bio-Unterricht Thema war- wenn ja, dann nur kurz und einseitig. Und spätestens da sollte man denk ich das erste Mal damit in Berührung kommen und nachdenken…
Ich hab übrigens keinen Ausweis- vom Gefühl her sage ich nein- „ihr schließt mich als Empfänger aus, aber als Spender bin ich gut genug? Forget it“ -aber so definitiv mag ich das einfach noch nicht entscheiden, deswegen bleibt die Frage erstmal offen. Auch wenn das ebenfalls nicht die Ideallösung ist…
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Auch eine Entscheidung dagegen muss in jedem Fall akzeptiert werden.
Wenn Du Deinen Angehörigen diese Entschidung im Fall der Fälle nicht aufbürden willst, gibt es auch die Möglichkeit sich einen Organspendeausweis zuzulegen und dort zu erklären, dass man NICHT zur Spende bereit ist (man kann diese Entscheidung in beiden Richtungen jederzeit wieder revidieren). In diesem Fall werden die Angehörigen erst gar nicht gefragt und eine Organentnahme unterbelibt.
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Ja das weiß ich ja- aber ehrlich gesagt überlasse ich einfach zur Zeit die Entscheidung gerne anderen, so egoistisch das auch klingen mag. Ich bin mir ja in keine Richtung wirklich sicher, weder dafür noch dagegen, wenn auch starke Tendenz zum letzteren…
Ich hatte auch schon nen Ausweis (ne Zeitlang mit ja, dann mit nein) und hab den aus genau dem Grund wieder vernichtet.
Ich hab die Entscheidung für jemand anderes auch schon mittreffen und dann dem Klinikum mitteilen müssen, aus rein subjektiver Sicht fand ich das auch ehrlich nicht so schlimm.
einen schönen Sonntag noch!
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