Das hören noch hin und wieder Schilddrüsenkrebspatienten von Ihren Ärzten, sowohl von den Chirurgen bei der Entlassung, den Hausärzten als auch (immer weniger aber noch immer) von den Nuklearmedizinern nach der Radiojodtherapie.
Um es vorweg zu sagen: Es gibt ganz wenige Patienten, auf die das zutrifft, bzw. die von sich selbst meinen, dass es zuträfe. Die meisten brauchen oder bräuchten tatsächlich eine solche Maßnahme oder würden zumindest von ihr profitieren.
Ich selbst habe aus Angst meine Kundschaft zu verlieren nach der Radiojodtherapie trotz des Angebotes des Sozialdienstes der Klinik, eine AHB zu beantragen, auf diese verzichtet. Etwa ein Jahr später war mir klar, dass ich sie gut hätte gebrauchen können, und ich habe eine onklogische REHA angetreten, nachdem ich gemerkt hatte, wie sehr mich in vielen kleinen Belangen die Diagnose und die Therapie geschlaucht haben, und dass die Luft einfach raus, die Batterien leer waren. Die Therapien waren im Vergleich zu anderen Krebserkrankungen verglichen z.B. mit einer Chemotherapie in der Tat weniger aggressiv, aber die Summe der vielen Kleinigkeiten, zwei Operationen in kurzer Folge, die Radiojodtherapie mit ihren Folgen, die Einstellung eines supprimierten TSH mit seinen Unannehmlichkeiten, die Folgen der Stimmbandlähmung, einer Komplikation, die bei SD-Krebspatienten zumindest passager so selten nicht ist, die vielen, vielen Arztbesuche, Therapiestunden etc., ein bisschen auch zumindest anfangs die im Unterbewusstsein bei fast allen Krebspatienten auch bei guter Prognose vorhandene Progredienzangst. Das alles hat Spuren hinterlassen, und ich zumindest meine von der REHA profitiert zu haben.
Am Wochenende war ich auf einem Arbeitstreffen, auf dem Mitglieder unseres Selbsthilfeverbandes und Fachleute aus der Reha und Spezialisten der SD-Krebstherapie über die Qualitätskriterien für Rehaeinrichtungen für SD-Krebspatienten beraten haben.
Anders als für die Reha von häufigeren Krebserkrankungen wie Brustkrebs, gibt es für die Reha/AHB von SD-Krebspatienten, wie für manche andere seltenere Krebserkrankungen, bisher keine Leitlinien, an denen man Kriterien festmachen könnte, die eine Einrichtung erfüllen sollte, die SD-Krebspatienten betreut. Was für die Reha von SD-Krebserkrankten an Maßnahmen / Voraussetzungen über das für die allgemeine onkologische Reha Übliche hinaus für wichtig und richtig gehalten wird, legen im Wesentlichen die Kliniken selbst in ihrem mal mehr mal weniger elaborierten Konzepten fest. Daher sollte dieses Arbeitstreffen mit Fachleuten, nachdem wir uns in kleinerer Runde bereits erste Listen zusammengestellt hatten, ein erster Schritt in Richtung überprüfbarer Kriterien sein, auch um irgendwann Empfehlungen an anfragende Patienten geben zu können.
Eine Feststellung ganz am Anfang war unter anderem, dass der Bedarf für solche Maßnahmen oft auch von Ärzten für ihre Patienten nicht wahrgenommen oder kleingeredet wird. Den berühmten Spruch „wenn ich mir ein Karzinom aussuchen könnte dann ihres“, den die meisten SD-Krebspatienten von ihrem Chirurg und manchmal auch von ihrem Nuklearmediziner zu hören bekommen, findet kaum ein Patient wirklich witzig. Auch ein mir bekannter Betroffener, der seine Diagnose einige Monate vor mir erhielt, hat dies zu hören bekommen, mittlerweile, gut 2,5 Jahre, 5 OPs und 2 Bestrahlungen später, ist von Heilung längst nicht mehr die Rede: es geht „nur“ noch um Zeitgewinn.
Die Diagnose Krebs ist sowohl für die Betroffenen als auch für die ihnen Nahestehenden zunächst mal ein Schock und eine Belastung, da das Wort Krebs in der Öffentlichkeit immer noch mit der Aura der akuten Lebensbedrohung verbunden ist. An der Angstbesetztheit der Krebdiagnose ändert auch die Mitteilung einer guten bis sehr guten Prognose nichts. Auch Progredienzangst ist keine Frage der Prognose, genausowenig wie tumorbedingte Fatigue, die ebenfalls oft auch Patienten mit guter Prognose betrifft. Für viele SD-Krebspatienten ist eine Aufarbeitung der Diagnose somit hilfreich. Hinzu kommt, dass SD-Krebsler meist nach kurzer Zeit wieder „gut aussehen“. Keine Chemo, kein Haarausfall, in der Regel keine externe Bestrahlung also auch keine Verbrennungen. Die Folgen von Hormonentzug und Radiojodtherapie, bei der zwischen 1 und 11 Gigabequerel I131 zum Einsatz kommen und die in Magenproblemen, Störung oder Ausfall der Speichedrüsenfunktion und Problemen mit den Tränendrüsen resultieren, sieht man den Patienten nicht an. Die Symptome der subklinischen „Schilddrüsenüberfunktion“, bedingt durch die hohe Dosierung der Schilddrüsenhormone sieht man ebenfalls nicht. Der Patient verspürt diese aber sehr wohl. Die Folgen der OP, Probleme im Schulter-/Nackenbereich, Ausfälle von Muskeln oder Nerven nach ausgedehnten Lymphknotenentfernungen, Folgen von häufigen OP-Komplikationen wie Stimmbandlähmungen oder Ausfall / Störung der Nebenschilddrüsenfunktion und damit massive Störung des Calciumhaushalts mit Tetanien sieht man in der Regel auch nicht. Daher kommt es, dass als Gegenreaktion zum anfänglichen Bedauern der Krebsdiagnose nach kurzer Zeit von der Umgebung die Probleme eher klein geredet werden („wenn Du keine Chemo brauchst, kann es ja so schlimm nicht sein“). Dabei, damit umgehen zu lernen, die eigenen Probleme / Unpässlichkeiten, die ja bei dieser Erkrankung oft über viele Jahre, manchmal lebenslang, weiter bestehen (müssen) zu akzeptieren und die Reaktion der Umgebung angemessen zu verarbreiten, kann eine AHB REHA ebenfalls hilfreich sein, ganz abgesehen von den üblichen Rehazielen, möglichst viel von seiner Leistungsfähigkeit wiederzuerlangen und die Einschränkungen und ihre Folgen gering zu halten.
Hier gilt es die Erstbehandler, Chirurgen und Nuklearmediziner, aber auch Hausärzte zu sensiblisieren, dass auch Patienten mit einer so vermeintlich „harmlosen“ und gut behandelbaren Krebserkrankung ihren Anspruch auf Rehabilitation einlösen sollten und von einer solchen Maßnahme sehr wohl erheblich profitieren können.
Diese Sprüche über den ´besseren` Krebs, darf man sich auch als Brustkrebspatientin ab und an mal anhören.
Ich kann diese Sprüche ebensowenig leiden.
Krebs ist immer ein massiver Einschnitt in ein Leben und auch immer ein Bedrohung desselben.
Progredienzangst hat wohl jeder der mal mit dieser Krankheit zu tun hatte, egal welches Organ davon betroffen ist / war.
Derartig dämliche Sprüche können nur von vermeintlich Gesunden abgesondert werden.
Ich finde Dein Engagement bewundernswert.
lieben gruss sue
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Bei Brustkrebs hört man auch diese Sprüche?? Da wird einem ja schlecht…
Das stimmt, dass diese Sprüche nur von vermeintlich Gesunden kommen, ebenso wie esoterischer Unfug.
Letztens in der Apotheke war ich Zeugin eines Gesprächs, das mir schier die Haare aufgestellt hat. Eine ältere Dame wollte was gegen eine Erkältung und die Apothekerin(!) begann davon zu schwafeln, dass sie sich auch überlegen müsse, was sie aus dieser Krankheit lerne sollte (!) bla bla bla
Das empfinde ich als reinen Hochmut!
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Lieber Karl,
vielen Dank für den tollen Artikel, dein Einsatz ist, wie Sue schon angemerkt hat, wirklich bewundernswert!
In Österreich ist die Situation auch nicht zufriedenstellend. Es gibt keine AHB, mein Reha-Antrag wurde abgelehnt, da ich keine Indikation hätte. „Nur“ ein Erholungsaufenthalt wurde genehmigt. Die Therapien musste ich dann extra beantragen, was für ein unnötiger Aufwand. Früher war es sogar so, dass man ein paar Jahre rezidivfrei sein musste, damit man eine Kur oder ähnliches machen durfte. Zu einem solchen Aufenthalt hat mir kein einziger Arzt geraten. Is ja nicht so schlimm, ne? Also ich finde das alles sehr bedenklich!
Liebe Grüße,
Sunny
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