Angst vor dem Tod?

23 Dez

Ein Kommentar zu meinem letzten Post hat mich in einer Antwort darauf angeregt über mein Verhältnis zum eigenen Tod und dem Sterben nachzudenken. Das Ergebnis, das dort in meine Antwort eingeflossen ist, hat mich selbst etwas überrascht, es ist aber tatsächlich so, wie ich dort schrieb: Ich habe vor meinem eigenen Tod als solchen keine Angst mehr. Und auch das Sterben als Vorgang macht mir keine Angst im eigentlichen Sinne, eher ist ein gewisser Respekt geblieben und etwas Unsicherheit, denn wie es sein wird, kann ja niemand voraussagen. Diese überraschende Erkenntnis, die mir so noch nicht bewusst war, hat mich angeregt, das Ganze noch  etwas zu vertiefen und einen Post raus zu machen.

Angst vor dem Tod und dem Sterben hatte ich früher sehr wohl. So gut es ging, habe ich das Thema verdrängt, hin und wieder, z.B. wenn ich persönlich mit dem Tod konfrontiert wurde, kam es wieder an die Oberfläche und erzeugte unangenehme Gefühle, die ich durch wiederholte Verdrängung so schnell wie möglich wieder loszuwerden versuchte, was mehr oder weniger gut gelang. Insgesamt war es, wie für viele (ich nehme an die meisten), für mich ein Tabuthema, über das ich möglichst wenig nachdenken wollte, und das mir, wenn ich die Beschäftigung damit nicht vermeiden konnte, Angst oder zumindest starkes Unbehagen machte.

Vor dem Tod an sich und vor dem Sterben hatte ich definitiv Angst. Und größte Panik löste die Vorstellung aus, irgendwann von einer Krebserkrankung betroffen sein zu können, was für mich mehr oder weniger gleichbedeutend mit dem sofortigen Weltuntergang zu sein schien. Jenseits der 45, nachdem im persönlichen Umkreis Krebserkrankungen ein konkretes Thema wurden, wurde das Verhältnis zum Krebs ein klein wenig rationaler blieb aber immer noch sehr angstbesetzt und gleichbedeutend mit der größten vorstellbaren Katastrophe, egal um welche Art Krebs es sich handeln könnte.

Ich hatte solange Angst davor an Krebs zu erkranken, bis es tatsächlich eintrat. Der Schockzustand, nachdem ich es wusste dauerte vergleichsweise kurz, eigentlich kaum länger als eine Stunde. Danach fing die rationale Aufarbeitung an. Angst im ursprünglichen Sinne, verbunden mit Panik beim Gedanken daran, habe ich keine mehr, auch nicht Progredienzangst in diesem Sinne. Hin und wieder beschleicht mich eine Art Furcht, die aber rationaler begründet ist. Ich weiß, dass ich nicht sicher sein kann, dass es kein Rezidiv gibt oder Metastasen auftreten können, auch wenn die Wahrscheinlichkeit dafür gering ist. Und wenn wieder ein Mensch aus dem Umkreis der Selbsthilfe stirbt, werde ich mir dessen wieder bewusst, und dann ist auch wieder der Gedanke da, dass es vielleicht auch mich noch einmal betreffen könnte, aber das halte ich unter diesen Umständen für einigermaßen normal. Ähnliches geht mir ja auch durch den Kopf, wenn jemand, den ich kannte, beispielsweise bei einem Autounfall ums Leben kommt oder verletzt wird.

Diese Furcht bzw. der Respekt vor der Krankheit wird wohl bleiben, und auch bei jeder Nachsorge tritt das wieder etwas mehr ins Bewusstsein. Aber das ist ganz bestimmt etwas anderes als die Angst und vor allem die Panik, mit der das Wort Krebs vorher für mich verbunden war.

Zusammen mit der Angst vor einer Krebserkrankung verschwand (merkwürdigerweise?) die Angst vor dem Tod und vor dem Sterben. Vielleicht wurde mir einfach die Endlichkeit unseres Daseins bewusster und die Tatsache, dass nach heutigem Kenntnisstand niemand um diesen letzten Schritt herum kommt. Vielleicht konnte ich es durch die eigene Erfahrung einer mit der Aura der tödlichen Bedrohung umgebenen Erkrankung erst akzeptieren, dass das auch auf mich selbstverständlich zutrifft. Und es wurde und wird mir mehr und mehr bewusst, dass wir wenig bis gar keinen Einfluss auf den Zeitpunkt haben. So sehr man sich bemüht, ein Leben zu führen, dass nach allen Erkenntnissen möglichst gesund sein sollte, so wenig kann man doch die vielen, vielen anderen Dinge beeinflussen, die unser Leben verkürzen oder auch abrupt beenden können. Und ebensowenig haben wir wirklichen Einfluss auf die Umstände unseres Todes. Ich hoffe, ich kann das Ende meines Lebens auf eine möglichst menschenwürdige Art und Weise erleben, wer wünscht sich das nicht, aber selbst dafür gibt es keine Garantie und man hat nur wenig Einfluss darauf. Trotzdem bedrückt mich der Gedanke an den eigenen Tod nicht, eher schon der Gedanke an meine zurückbleibende Familie, und was es für sie bedeuten würde, besonders wenn ich schon bald abtreten müsste. Unsere Versorgung ist aufgrund unserer bisherigen Lebensumstände denkbar schlecht, und daran wird sich vermutlich nicht sehr viel ändern. Zum jetzigen Zeitpunkt wäre mein Tod schon eine existenzielle Bedrohung für meine dann Hinterbliebenen.

Es ist nun beileibe nicht so, dass ich jetzt frei von jeder Angst wäre, auch gelegentliche Panikattacken sind mir nicht fremd. Dies betrifft existenzielle Dinge anderer Art, wie vor allem finanzielle Sorgen oder der Kampf mit Ämtern, Behörden und ähnlichem. Hier fehlt mir komischerweise noch die Gelassenheit, die ich gegenüber den oben behandelten doch auch recht existenziellen Dingen gewonnen habe. In dieser Beziehung war ich früher gelassener.

Gelassenheit und diese wiederzugewinnen bzw. überhaupt zu gewinnen, war ein Thema, das mich während meiner Reha vor einem guten Jahr beschäftigt hat. Insbesondere drei Trancereisen hatten diese Frage zum Inhalt. Auf der letzten Reise landete ich in einem Gefühl absoluter Sicherheit mit der Gewissheit, dorthin zurückkehren zu können. Ich habe diese Reise noch nicht wieder unternommen, bin aber immer noch überzeugt dorthin zurückkommen zu können. Was mich bisher davon abgehalten hat, weiß ich  nicht. Aber ich kenne im Grunde den Weg dahin. Der kann auch über solche Reisen führen aber ganz allgemein ist es der Weg eines achtsamen Lebens, etwa wie es in der buddhistischen Tradition aber z.B. bei Meister Eckhardt zu finden ist. Im Jetzt und Hier leben, die Fülle des Augenblicks wahrnehmen, die Wahrnehmung beobachten, nicht alles gleich bewerten sondern gegenüber den äußeren Dingen gleichgültig sein, nicht im Sinne von egal sondern von gleicher Gültigkeit im positiven Sinn. Das ist nicht einfach, es erscheint mir aber immer erstrebenswerter für mich. Natürlich gehört dazu auch sich selbst zu achten, was genausowenig immer einfach ist wie der wirklich achtsame Umgang mit den Mitmenschen.

Etwas was ich auch gewonnen habe, ist die Fähigkeit, mich ohne Angst zeitweise vollkommen in die Hand von anderen, hier insbesondere Ärzten zu geben. Ich habe gelernt, dass es notwendig sein kann, z.B. bei Operationen, sich vollkommen anderen anzuvertrauen, darauf zu vertrauen, dass diese verantwortungsvoll mit meinen ihnen anvertrauten Leben umgehen werden. Und ich kann das jetzt ohne Angst. Zwar versuche ich nach wie vor als Patient informiert zu sein und meinen Ärzten auf Augenhöhe zu begegnen, aber nachdem ich mich ausreichend aufgeklärt fühle und meine Ansichten über geplante Behandlungen diskutieren konnte, kann ich ohne Bedenken loslassen und mich quasi „ausliefern“, was früher nicht der Fall war.

So gesehen war der „Stolperstein“ der mir von der Erkrankung in den Weg gelegt wurde (so drückte es meine Psychoonkologin aus) wertvoll für mich, weil er in vielen Dingen zu einer Neubewertung geführt hat. Er hat aber auch alte Verletzungen bewusst gemacht, die vorher verdrängt waren, und von denen ich merke, dass sie bedeutenden Einfluss auf meinen nicht sehr geraden Lebensweg hatten und vor allem immer noch haben. Da habe ich noch Einiges aufzuarbeiten, das ist mir im positiven wie im negativen Sinne bewusst geworden. Trotzdem bin ich froh, dass diese Dinge nicht weiter verdrängt irgendwo unter der Oberfläche meines Bewusstsein lauern.

Hm ja, und da ist noch was. Das hat mit meinem sehr persönlichen Verhältnis zu meinem sehr persönlichen Gott zu tun. Und mit Zen und mit anderen Dingen. Das ist, auch für mich, noch sehr kompliziert. Auf jeden Fall hängt es mit dem Loslassenkönnen bei bestimmten Dingen zusammen. Das ist schon meine Ganzes Leben in Bewegung und wird es bleiben. Aber das ist eine andere, sehr lange, spannende Geschichte, und ich weiß nicht ob und wann ich sie hier erzählen werde.

4 Antworten zu “Angst vor dem Tod?”

  1. dreamsandme 24. Dezember 2011 um 12:38 #

    Lieber Karl,

    ich hoffe, dass ich irgendwann auch eine Art der Gelassenheit erreiche. Diese Neubewertung der Dinge und Einstellungen, die erlebe ich allerdings auch. Durchwegs positiv muss ich sagen. Aber die Angst ist da. Ich hatte vorher nie auch nur irgendwelche Ängste, dass ich erkranken könnte. Hielt mich für ziemlich unverwundbar. Der Fall danach war groß und die Angst natürlich auch. Angst meine Kinder und Enkelkinder nicht aufwachsen sehen zu können, Angst meinen Partner alleine zu lassen, Angst meine Träume nicht mehr verwirklichen zu können, einfach Angst, keine Zeit mehr zu haben.
    Aber diese Ängste sind nicht ständig da und auch nicht immer gleich intensiv, dennoch sind sie da. Vielleicht befasse ich mich auch mal näher damit…

    Sei lieb gegrüßt und ein Frohes Fest wünsche ich dir,
    Sunny

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  2. Edith 25. Dezember 2011 um 15:02 #

    Hallo Karl,

    ich bin Edith aus Österreich, 38 Jahre und habe Brustkrebs im fortgeschrittenem Stadium.
    Weil es zum Thema passt: Ich lag schon einmal im Sterben und das über 15 Stunden. Außerdem hatte ich eine Nahtoderfahrung. Das Sterben ist nicht unerträglich, es ist anstrengend. Man hat starke Bilder im Kopf, die mit einem Feuerwerk zu vergleichen sind. Die Bilder sind nicht vor dem Auge sondern im Hinterkopf mit einer großen dreidimensionalen Tiefe. Da der Mensch nur in der Lage ist im Moment zu denken, ist das beim Sterben auch so. Ich fragte mich ständig: „Was ist das?“ Natürlich wälzt man sich dabei herum oder schlägt vielleicht herum, mitkriegen tut man das nicht. Ich kam irgendwas gespritzt, dann schlief wieder ein, wenn ich aufwachte, waren wieder diese Bilder im Kopf. Ich hatte vorher das Nahtoderlebnis, wurde dann operiert und lag nach der OP im Sterben. Der Grund für die Nahtoderfahrung war, dass ich 3,5 l Blut in Sekundenschnelle verloren habe. Zuerst dämmerte ich weg, und dann passierte folgendes:
    Das erste was sich ausschaltet ist der Verstand. Du kannst max. noch ein paar Worte denken, bei mir war das „Ich will nicht sterben“, dann ist es aus mit Grübeln. Dann kommen Bilder deines ganzen Lebens ganz schnell von oben nach unten. Ca. 3-4 Bilder werden kurz angehalten. Eines als Kind, eines als Jugendlicher, eines von der Jetztzeit. Es geht sehr schnell, max. 3 Sekunden. Ja und dann wird es wunderschön. Ich habe Musik gehört, hellstes Licht und du spürst das „Sein“, (lässt sich nicht erklären), anschließend bin ich aus dem Körper ausgetreten und wollte in die rechte Ecke des Zimmers, dort wo das Licht am hellsten war. Ich schwebte und schwebte, einfach nur wunderschön. Dann blickt man noch einmal zurück. Man sieht sich selber liegen, aber das will man gar nicht mehr sehen. Ein seidener Faden, er war schon ganz dünn wie eine Perlschnur, wurde immer länger, doch dann kam ein Ruck und ich schnalzte zurück in meinen Körper. Wäre dieser Faden gerissen, ist man tot.Das Bild fällt aus, wie wenn Du einen Fernseher ausschaltest. Der Mensch produziert nur Dinge und Sachen, die dann beim Ableben passieren. Raketen, Karussels, Energie (ein/aus) usw.
    Du sagst, Du kannst Deinen Tod nicht beeinflussen. Das kann keiner, stimmt. Je natürlicher der Prozess ist, desto besser ist es. Sicher, wenn ich ein Bronchialkarzinom habe od. Lungenkrebs, würde ich auf terminale Sedierung bestehen. Aber ansonsten sollte man auch beim Sterben auf sich selber schauen und sich nicht einfach im Stundentakt von Ärzten zupumpen lassen. Ich habe mir meine palliative Behandlung selbst zusammengestellt, weniger ist mehr Lg Edith

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  3. Thomas 12. Januar 2012 um 13:43 #

    Hallo Karl,
    ich habe Deine Gedanken mit großem Interesse gelesen.
    Im Juli werden es vier Jahre, daß meine Frau an einem Dickdarmtumor gestorben ist. Ich habe sie auf ihrem Weg begleitet und den Punkt kennengelernt, an welchem der Tod seinen Schrecken verliert weil nur er noch einen Ausweg aus dem Leiden bietet. Seit dieser Zeit habe ich selbst ein entspannteres Verhältnis zum Tod. Es ist ja eher auch der Leidensweg, vor dem wir uns fürchten als die letale Konsequenz an sich.
    Es ist gut und wichtig, sich zu „normalen“ Zeiten des Geschenkes des Lebens bewusst zu sein und es zu geniessen. Wenn der Partner gestorben ist, bleibt nichts mehr wie es war. Er hat einen Teil von uns mitgenommen und das erscheint manchmal schlimmer, als wäre man selbst gegangen.

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    • Karl 13. Januar 2012 um 19:33 #

      Wie es ist, den Partner zu verlieren, kann ich aus eigener Erfahrung noch nicht nachvollziehen, und hoffe, dass mir diese Erfahrung vorläufig auch erspart bleiben wird.

      Allerdings bleibt es in meinem Alter nicht aus, dass man schon den ein oder anderen lieb gewonnen Menschen gehen lassen musste. Das ist im Übrigen der Punkt: Gehen lassen, loslassen. Das ist schwierig, nimmt aber immer größeren Raum in meinem Leben ein. Und ich merke, je mehr ich loslassen kann, desto weniger bedrücken mich die Umstände, egal um was es sich handelt. Allerdings wird mir auch immer mehr bewusst, an wie vielen Dingen ich eigentlich hänge, die noch losgelassen werden sollten. Auch das eigene Leben muss letztendlich losgelassen werden, und ich hoffe, es wird mir zu gegebener Zeit leicht fallen. Ich will es nicht wegwerfen, mich aber auch nicht daran festkrallen.

      Bei einigen Menschen, die ich schon länger gehen lassen musste, ist mir erst mit der Zeit und eigentlich ziemlich spät klar geworden, dass sie alle etwas hinterlassen haben und auf ihre besondere Weise noch präsent sind. Jeder bleibt so oder so präsent für eine lange Zeit, ja für immer, auch wenn es nach langer Zeit vielleicht nur noch ein unscharfes Bild sein mag. Mit diesem Bewusstsein, fällt es mir persönlich leichter, Menschen gehen zu lassen und vielleicht auch irgendwann selbst loszulassen.

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