Organspende mal wieder

16 Aug

Auf diesen, insbesondere in der gegenwärtigen Situation nach den Organverteilungs“Skandalen“, unsäglich dämlichen Kommentar muss ich einfach reagieren. Der Autor instrumentalisiert eben diese Skandale, die weiß Gott genug Schaden und Verunsicherung bei potentiell spendebereiten Menschen erzeugt haben, für seine Polemik gegen die Organspende als solche, die er offenbar benötigt, um vor sich selbst seine eigene Entscheidung gegen die Organspende, die ich ausdrücklich respektiere, zu rechtfertigen. Er ruft damit wieder all jene Halb- und Nichtwissenden auf den Plan, die „schon immer wussten“, dass man mit den Transplantationen nichts anderes im Sinn hat als lebende Menschen auszuschlachten und sich dumm und dämlich daran zu verdienen, obwohl seine durchsichtige Rhetorik damit überhaupt nichts zu tun hat.

Kissler spricht sich einerseits implizit gegen die persönliche Entscheidung für eine Spende aus und verneint auch seine eigene Bereitschaft, was er nach eigenen Worten in seinem Ausweis dokumentiert hat. Diese Entscheidung sei ihm unbenommen und ist in jedem Fall zu respektieren, wie ich sie natürlich bei jedem anderen auch respektiere. Andererseits kritisiert er die Praxis der angeblich nicht ergebnisoffenen Gespräche mit Angehörigen durch Vertreter der DSO.

Wenn tatsächlich alle diejenigen, die für sich selbst entschieden haben, keine Organe spenden zu wollen, dies durch einen entsprechend ausgefüllten Spenderausweis nach Kisslers Beispiel dokumentierten, wären diese Gespräche von vornherein unnötig, insofern läuft seine Kritik hier ins Leere. Einzige Voraussetzung dafür wäre, sich für einige Minuten Gedanken über das Thema zu machen, und das völlig zwanglos und ergebnisoffen!

Ich akzeptiere grundsätzlich jede Entscheidung für oder gegen die Organspende, auch diejenige keine Entscheidung treffen zu wollen. Jedem, der letztere trifft, muss jedoch klar sein, dass er damit die Entscheidung seinen Angehörigen aufbürdet und sie damit ggf. einem Gespräch mit den dafür Zuständigen aussetzen wird, die, in meinen Augen selbstverständlich, ein Interesse daran haben werden, einen potentiellen Organspender zu einem tatsächlichen zu machen, wenn die dafür gesetzlich notwendigen Voraussetzungen gelten und eingetreten sind. Darin kann ich nichts Böses erkennen. Diese Erkenntnis, dass man durch die Verweigerung einer Entscheidung eventuell seine Angehörigen dieser Situation aussetzen könnte, sollte aber jedem mit Denkapparat ausgestatteten Menschen möglich sein. Und wenigstens diese Verantwortung sollte jeder bereit sein zu tragen, einfacher geht es eben nicht.

Seine Ausführungen zum Hirntod sind von wenig bis keiner Sachkenntnis geprägt. Keiner, der sich ernsthaft mit dem Hirntodkriterium beschäftigt wird bestreiten, dass es sich bei Menschen, auf die das Hirntodkriterium zutrifft, nicht um Tote sondern um Sterbende handelt. Es heißt auch ausdrücklich Hirntod, und nur darum geht es. Das der biologische Tod ein Prozess ist, der nicht an einem einzigen definierten Zeitpunkt festgemacht werden kann, hatte ich bereits früher mal dargelegt. Es geht bei der Entscheidung Organspende ja oder nein auch überhaupt nicht darum, ob jemand zum Zeitpunkt der Organentnahme auf irgendeine Weise besonders oder weniger besonders tot ist, sondern darum, ob man sich in einem Zustand befindet, der mit hinreichender Sicherheit derart ist, dass man meint seine eigenen Organe nicht mehr sinnvoll brauchen zu können, da alles was mit dem, was einen einmal als lebender Mensch ausgemacht hat, soweit erloschen ist, dass es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht wieder hergestellt werden kann.

Diese Frage kann nur jeder für sich selbst beantworten, und jede Antwort muss akzeptiert werden. Um eine Antwort zu finden ist es nützlich gut und sachlich über den Hirntod, die Organentnahme und alles, was mit Organtransplantation zu tun hat, informiert zu werden. Eine Polemik wie die von Kissler trägt zu einer solchen sachlichen Information nichts bei und ist daher überflüssig. Auf mich wirkt das Traktat eher wie das Pfeifen im Walde: Er will sich selbst davon überzeugen, dass eine negative Entscheidung richtig war. Das darf er gern tun, doch in der Öffentlichkeit möge er es bitte auf diese Art und Weise bleiben lassen, denn hilfreich für andere ist das gerade jetzt nicht.

Am Anfang des Kommentars steht zwar das Lippenbekenntnis, dass er Kissler niemand davon abhalten will, seine Spendebereitschat zu erklären, aber in letzter Konsequenz bedeutet sein Kommentar, insbesondere, was seine Ausführungen zum Hirntod und die letzten beiden Absätze angeht, dass er Transplantationen als solche rundheraus ablehnt und nicht, wiederum ein Lippenbekenntnis, ein neues Nachdenken sondern eine Abschaffung der Organtransplantationen fordert. Gerade, dass er dieses nicht offen sagt, kreide ich ihm besonders an, das ist einfach scheinheilig.

Ich bin keinesfalls dafür, jemandem, der für sich entschieden hat, nicht als Spender zur Verfügung zu stehen, im Notfall selbst ein Transpantat zu verweigern. Aber in diesem Falle, wenn jemand das System als solches infrage stellt, muss er konsequenterweise auch selbst bereit sein, auf den Empfang eines Spenderogans zu verzichten, alles andere wäre in höchstem Maße bigott.

Ich hatte keine Gelegenheit und werde keine Gelegenheit haben, Kissler zu fragen, ob er in einer Patientenverfügung für sich den Empfang von Spenderorganen eindeutig ausgeschlossen hat, ich wage aber hier zu spekulieren, dass dies nicht der Fall ist. Und sollte es wirklich so sein, fälle ich hier tatsächlich ein negatives moralisches Urteil über ihn, das ich bei jedem der sich, aus welchen Gründen auch immer, gegen eine Organspende entscheidet aber das System als solches nicht infrage stellt, niemals fällen würde.

Nachsatz: Ich halte das gegenwärtige System, die Vergabepraxis vor allem, keineswegs für perfekt, sondern bin im Gegenteil der Ansicht, dass es an etlichen Stellen verbesserungsbedürftig ist, besonders was Kontrolle und Transparenz der Organzuteilung betrifft. Die Transplantationesmedizin als solche und die die Organentnahme bei Hirntoten nach festgelegten (ggf. auch verbesserungswürdigen) Kriterien steht für mich aber grundsätzlich nicht zur Debatte.

Noch ein Nachtrag:
Ich habe gerade ein Interview mit einem Medizinehtiker gefunden, der einige Dinge in meinem Sinne auf den Punkt bringt. Z.B., dass wir uns von der Vorstellung lösen müssen, es gebe einen einigermaßen definierten Zeitpunkt, vor dem man es mit einem lebenden (Patienten) und nach dem man es mit einer Leiche zu tun hätte. Man hat es immer mit einem Menschen zu tun, der sich in einem Prozess vom Leben zum Tod befindet. Irgendwann während dieses Prozesses kann es einen Zustand geben, an dem sich jemand (nicht unbedingt jeder) vorstellen kann, dass soviel von dem, was für ihn selbst Leben bedeutet, bereits unrettbar verloren gegangen ist, dass er bereit ist, sich in diesem Zustand seine Organe entnehmen zu lassen. Das ist das, was ich in diesem und meinem ersten Post damit meine: Ich halte mich im Zustand des Hirntods nach seiner gegenwärtigen Definition für „tot genug“.

9 Antworten zu “Organspende mal wieder”

  1. zartbitterdenken 16. August 2012 um 16:59 #

    Ich gebe dir uneingeschränkt recht.
    Der glaube, dass man mit Organen hauptsächlich Geld verdient zeugt wirklich von Unwissenheit und nicht gerade von Aufgeklärtheit.

    Meinem Vater ist die ganze Organspende an sich unheimlich und ihm ist auch mit Logik nicht beizukommen, aber er hat sich nach tiefgehender Beschäftigung mit dem Thema schlussendlich doch dagegenentschieden, was ich nicht nachvollziehen aber akzeptieren kann.
    Ich selbst bin Organspenderin. Bei mir darf alles, bis auf die Augen, verwendet werden, weil ich da etwas abergläubisch bin. Ich wäre dankbar im Notfall ein Organ erhalten zu können und warum soll ich meine eigenen nicht spenden? Ich glaube so oder so nicht daran, dass ich sie nach meinem Tod noch brauchen werde.

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  2. Sue 17. August 2012 um 11:23 #

    Organspendenbereitschaft und möglicher Organempfang, gehörten einfach auch aneinander gekoppelt. Wer nix gibt, bekommt auch nix. Das wäre logisch und konsequent ….. meine Meinung.

    lieben gruss
    sue

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    • Karl 17. August 2012 um 12:08 #

      Kann man so sehen, und es wäre seitens derer, die nicht spenden wollen auch konsequent ihren eindeutigen Verzicht zu erklären, z.B. in Form einer entsprechenden Patienteverfügung.

      Aber ich möchte eigentlich nicht ganz so weit gehen. Ich kann nicht in die Köpfe der Leute schauen und die Gründe ermessen, die sie zur Ablehnung einer Spende für sich selbst veranlassen. Vielleicht gibt es nachvollziehbare Gründe, und ich will denen das Recht auf Behandlung nicht absprechen.

      Aber von jemanden, der sich öffentlich quasi gegen jede Organentnahme _als solche_ auspricht und damit praktisch eigentlich die Tranplantationsmedizin insgesamt infrage stellt, muss ich schon fordern, dass er dann konsequenterweise auch auf jeglichen Empfang von Spenderorganen verzichtet.

      Und ich fürchte, dass genau ein großer Teil von denen, die am lautesten tönen, man sollte die Organentnahme aus hirntoten Spendern abschaffen, diejenigen sind, die am Ende ebenfalls am lautesten bettlen auf eine Empfängerliste zu kommen, wenn bei ihnen selbst ein Organversagen droht.

      Bei Menschen die die Organentnahme nur für sich, aber nicht grundsätzlich ablehnen, hab ich Hoffnung, dass sie vielleicht eines Tages noch zu einer anderen Entscheidung kommen. Auch ich hatte Zeiten, in denen ich skeptisch war. Erst die Erfahrung, dass ich mich mehrmals vollständig mit allem was ich hab in die Hände von Medizinern begeben musste, hat mich bei meiner Entscheidung pro Organspende engültig sicher gemacht, auch wenn ich vorher schon spendebereit war. Deshalb will ich den Stab nicht über denen brechen, die sich (noch) schwer damit tun. Nur diejenigen, die generell dagegen sind, fordere ich nachdrücklich zum Verzicht auf und darauf, diesen Verzicht auch zu dokumentieren.

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  3. Wolfram 17. August 2012 um 15:56 #

    Je nun. Ich meine, Kissler hat recht, wo er verlangt, daß über die Besonderheiten des Hirntod-Kriteriums besser informiert wird, denn nicht jeder Mensch weiß darüber soviel wie du und ich, und wir haben uns darüber ja auch schon ausgetauscht. Wenn man liest, daß ein für hirntot erklärter Mensch vor der Organentnahme anästhesiert wird wie du und ich vor einer Operation, dann kann man sich schon Fragen stellen, und die Organspende-Organisationen hüten sich tatsächlich davor, diesen Punkt öffentlich zu machen.
    Die Gesetzesvorgabe einer ergebnisoffenen Beratung (dasselbe steht auch im Gesetz zum Schwangerschaftsabbruch – man stelle sich vor, Bischof Dyba hätte sich seinerzeit mit denselben Worten vor die Mikros gestellt wie jetzt Günter Kirste…) soll gewährleisten, daß die Angehörigen eines Sterbenden nicht in diesen wenigen Stunden, die für eine eventuelle Organentnahme zur Verfügung stehen, unter Druck gesetzt werden, eine Entscheidung zu treffen, die sie ruhigen Gewissens später nicht tragen können.
    Wenn Günter Kirste – wie Kissler zitiert, ich habe das nicht überprüft – angibt, bei einer Beratung durch neutrale Ärzte würden 60% der Angehörigen einer Organentnahme zustimmen, dann ist das doch schon einmal ein guter Wert, und man mag hoffen, daß sie auch für sich selbst die Entscheidung treffen, das auf einem Organspendeausweis anzukreuzen. Aber Kirste gibt laut Kissler damit an, daß ein „Koordinator“ die Quote auf 80% bringen würde, und das heißt, er würde die HÄlfte der Ablehnenden „umdrehen“. Da ist der Zweifel schon berechtigt, ob der Gesetzestext erfüllt wird, in dem es heißt: „Die Aufklärung hat die gesamte Tragweite der Entscheidung zu umfassen und muss ergebnisoffen sein.“ – oder ob da nicht die Angehörigen so lange belagert werden, bis sie schließlich erschöpft nachgeben. Und letzteres wollte der Gesetzgeber genau ausschließen. Es wirft die Frage auf, ob tatsächlich die gesamte Tragweite der Entscheidung auf den Tisch gelegt wird – oder ob sich der „Koordinator“ wie ein provisionsabhängiger Versicherungsvertreter verhält, nur darauf abhebt, wie wichtig doch das Organ für jemand anderen wäre, und womöglich gar, illegal, behauptet, es wäre eine soziale Pflicht, Organe zur Entnahme freizugeben.

    Die Polemik Kisslers, für sich genommen, ist hart an der Grenze. Als Gegengewicht zu Günter Kirste schon weit weniger.
    Aber eins darf nicht vergessen werden: es wird immer von Organspende geredet. Eine Spende ist aber per definitionem freiwillig, ohne Zwang und ohne Druck, anderenfalls handelt es sich um eine Steuer oder eine Gebühr. Eine Spende ist ein Geschenk. Ein „Geschenk“ unter Drohungen abzupressen, ist Raub oder Erpressung. Die DSO sollte, da stimme ich Kissler zu, ihre Kommunikation überprüfen und auch ihre Methodik. Denn auch da hat Kissler recht: die DSO profitiert nicht schlecht von jedem Organ, das sie vermittelt.
    Vielleicht sollte man diese Vermittlung verstaatlichen, um Mißbrauch zu verhindern?

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    • Karl 17. August 2012 um 16:26 #

      Ich hab ja schon angemerkt, dass ich die Vergabepraxis für verbesserungswürdig halte und sie vor allem transprenter werden müsste.

      Ob eine staatliche Vergabe sinnvoll wäre, lass ich mal dahingestellt, wiewohl unsere Stiftunglösung sicher auch nicht ideal ist. Vor allem haben zuviele Institutionen damit zu tun (bei uns mindestens 3), da ist sicher noch Luft nach oben hin zum Besseren.
      Auch wäre es sehr zu begrüßen, wenn die Angehörigengespräche _wirklich ergebnisoffen_ geführt würden, was, wie ich im Übrigen glaube, ganz überwiegend der Fall sein dürfte. Die Protzerei von Kirste ist sicher in höchstem Maße ärgerlich und überflüssig.

      Aber auch die Kritik daran geht m.E. immer noch (zumindest teilweise) am Ziel vorbei, denn die Lösung ist doch vollkommen einfach und klar: Jeder, der seinen Angehörigen ein solches, ganz sicher belastendes, Gespräch ersparen möchte, schnappt sich einen Organspendeausweis, den er im Übrigen zukünftig sogar blanko zugeschickt bekommt, kreuzt an, dass er nicht spenden will, und fertig ist die Laube. Einfacher geht es doch nun wirklich nicht.

      Dann würden auch ALLE Organspenden wirklich zu Spenden, die freiwillig erfolgten, denn die unsicheren Fälle, bei denen man Angehörige „überreden“ müsste, kämen schlicht nicht mehr vor.

      Wie gesagt, ich akzeptiere auch die Entscheidung, keine Entscheidung treffen zu wollen, aber über das, was daraus folgt, nämlich im Zweifel ein Angehörigengespräch, kann und müsste sich ein vernünftiger Mensch im Klaren sein.

      Vielleicht kannst Du ja in dieser Richtung deinen Schäfchen mal ins Gewissen predigen, dass sie sich darüber zumindest mal klar werden sollen 😉 wobei ich natürlich keine Ahnung hab, wie die Regelungen in Frankreich sind. Jede Entscheidung, egal welche, die aus einen solchen Nachdenken resultiert, bin ich gerne bereit zu akzeptieren.

      Meine Hauptkritik an dem Kommentar, ist jedoch, dass der Autor im Grunde genommen die Tranplantationsmedizin abschaffen will, es aber nicht wagt, warum auch immer, das offen und klar zu sagen. Wenn jemand sagt, dass ein Hirntoter nicht wirklich tot ist (was zutrifft, womit ich aber trotzdem kein Problem hab), und dass man außerdem nichtoten Menschen keine Organe entnehmen soll, was kann man dann daraus anders schließen, als dass man das Transplantieren von Herzen, Nieren, Lebern und Lungen aufgeben müsse? Diese Organe lassen sich nun mal nur aus Körpern gewinnen, die noch über einen funktionierenden oder zumindest mit Hilfsmitteln aufrecherhaltbaren Kreislauf verfügen.

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      • Wolfram 17. August 2012 um 17:00 #

        Das WordPress-Formular hinter dem roten Sprechbläschen ist verbesserungswürdig, es hat meinen Kommentar grad mal gefuttert… ich versuchs noch mal.

        Ich nehme Kissler nicht so auf, daß er wortwörtlich ins Gesetz übernommen werden will. Er tritt gegen einen mediatisierten Megalithen an, auf dem steht „Organspende ist gut, und wer was dagegen hat, ist doof oder böse“. (Das ist meine Interpretation der Organspende-Kampagne.) Wo Einwände unter den Tisch gekehrt werden oder mit der Moralkeule abgebügelt – lies mal Kommentare, wenn jemand in einem öffentlicheren Blog als meinem kritisch zur Organentnahme schreibt, der wird am nächsten Baum aufgehängt.
        Um überhaupt gehört zu werden, schreibt er hochpolemisch. Das ist ein Stilmittel, wenn auch oft verkannt, wie die Ironie – du erinnerst dich, bei Tom… Im Endeffekt lese ich bei ihm, „da sind Fakten, die euch verschwiegen werden; nehmt die zur Kenntnis, und dann entscheidet euch!“ Das finde ich nur richtig. Würden wir bei jedem Versicherungsvertrag ja auch machen. Und wikileaks fanden wir ja auch alle ganz toll, weil es uns endlich mal sagte, was man uns immer verschwiegen hatte.

        Das Problem ist immer noch, daß erstens jedes transplantierte Organ einer Menge Leute eine Menge Geld einbringt, und zweitens weniger Organe angeboten als abgerufen werden. (Ich will jetzt nicht spekulieren, woher der ständig steigende Bedarf an Transplantationen kommt, aber es muß sicher auch mal über diesen Bedarf nachgedacht werden.)
        Wo Geld im Spiel ist, ist eine Lobby, die mehr Geld ins Spiel bekommen möchte. Kissler hat völlig recht, daß eine ergebnisoffene Beratung nicht vorgenommen werden kann von Leuten, die je nach Ergebnis mehr oder weniger Geld bekommen – ich sprach im Vergleich von dem Versicherungsmakler, der eine Provision für jede abgeschlossene Versicherung bezieht, man könnte auch an Zeitschriftendrücker denken. Für HAustürgeschäfte gibt es deshalb eine Rücktrittsfrist, für Organentnahmezustimmung jedoch nicht.

        Ich meine auch, daß ein Übergang von der bisherigen Zustimmungslösung zu einer Widerspruchslösung nicht möglich ist, ohne vorher eine breite Diskussion in der Gesellschaft zu führen, eine Diskussion, in der auch die Dinge auf den Tisch kommen, die du und ich wissen, aber die in der Werbung für „Organspende“ tunlichst verschwiegen werden: genau die, die Kissler nun in die Welt posaunt. Solange man davon ausgeht, „wenn ich das den Leuten sage, tun die nicht, was ich will, also verschweige ich es lieber“, verkauft man die Leute für dumm. Dagegen habe ich etwas, und Kissler offenbar auch. Es ist auch verfassungswidrig, weil gegen die Menschenwürde und weil der Souverän des Landes damit zum Stimmvieh gemacht wird. Ich halte sogar die Widerspruchslösung an sich für verfassungsmäßig und ethisch äußerst bedenklich.

        Ich meine immer noch, daß bei der Organentnahme wie bei jedem anderen Geschäft gelten soll, daß nur der zugestimmt hat, der dazu auch ja gesagt hat. Mit seiner Unterschrift. Man möge mit viel Information dafür werben, daß möglichst viele Menschen sich über das Thema fundiert (!) Gedanken machen, mit allem Für und Wider, aber nur ein schriftlich vorliegendes Ja ist ein Ja. Ein fehlendes Nein ist kein Ja – aber ein Kärtchen mit „Nein“ kann schon mal schnell verlorengehen auf dem Weg von der Unfallstelle in die Uniklinik. Und schon wurde einer ausgeweidet, der das unter keinen Umständen wollte… was dann?

        Frankreich führt übrigens ein Zentralregister der Nein-Bekenner. Kein Einwohnermeldeamt, aber tausend verschiedene Register – das ist Frankreich… und dieses Register wird auch arg in Frage gestellt, weil es eben theoretisch die Basis bietet, die Verweigerer unter Druck zu setzen. Wer immer auf die Register zugreift, weiß man ja nie. Einstweilen gilt aber, daß immer erst die Angehörigen gefragt werden, außer es läge, was die absolute Ausnahme ist, eine Registrierung als Spender vor. Lobbyisten kämpfen aber schon gegen diese Praxis.

        Organspende ist kein Kanzelthema; da gibt es in Frankreich auch gesetzliche Grenzen, die ich nicht zu sehr ausloten möchte – und ehrlich gesagt, der Umgang mit Fahrendem Volk oder mit Asylbewerbern ist mir da das wichtigere Thema, um an die Grenzen des Möglichen zu gehen (zumal ich selbst äußerst kritisch zu dem Thema Organtransplantation bin, aber meine Ansicht eben nicht anderen aufzwingen will). Ich habe auch in der neuen Stelle keine direkte Berührung mehr zur Medizinethik. Aber in gewisser Weise ist der mündige Bürger Teil der reformierten Weltsicht, von daher kann es durchaus mal sein, daß die Frage der Transplantationsethik thematisiert wird.

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        • Karl 17. August 2012 um 17:57 #

          Ich will das jetzt nicht weiter ausweiten, aber um nicht missverstanden zu werden, muss ich doch noch ein paar Worte sagen: Ich bin gnaz klar und eindeutig GEGEN jeder Widerspruchslösung. Die gegenwärtige Lösung, dass nachgefragt wird und jede Entscheidung, auch die sich nicht entschieden zu haben, akzeptiert wird, halte für die unter den gegenwärtigen Umständen angemessenste. Ich denke, die gelegentliche Aufforderung mal drüber nachzudenken, sollte jedem zumutbar sein.

          Und den mediatisierten Megalithen, auf dem steht “Organspende ist gut, und wer was dagegen hat, ist doof oder böse”. sehe ich nicht. Ich halte diese Interpretation, für leicht paranoid. Die Kampagne war zugegeben hin und wieder nicht ganz glücklich, nicht jede Werbekampagne ist ein Meilenstein der Werbekunst, aber NIEMALS in dieser Kampagne ist an irgendeiner Stelle irgendjemand, der sich selbst gegen Organspende entschieden hat auch nur ansatzweise in irgendweiner Form als moralisch minderwertig oder ähnliches bezeichnet worden. Entsprechende Vorwürfe hätte ich dann schon gern belegt, und genau diese Belege bleibt Kissler wie alle anderen Grundsatzkritiker schuldig. Mag sein, dass Organspender hin und wieder (in meine Augen ebenfalls unglücklich) als leuchtende Beispiele dargestellt wurden, bisweilen hat sich auch der ein oder andere Promi ein bisschen sehr mit seinem Spenderausweis in den Vordergrund gespielt, aber ein moralischer VERGLEICH mit den Nichtspendern oder gar eine moralische Abwertung derselben hat im Rahmen der Kampagne nicht stattgefunden. Solches entspringt nur der paranoiden Phantasie der Gegner. Wenn in Foren radikale Organspendefundis nicht Spendewilligen eins mit der Moralkeule überbraten und ihnen gar den Anspruch auf medizinische Hilfe absprechen, ist das nicht Schuld der Organspendekampagne sondern nicht anders zu bewerten, als wenn militante Veganer Wurstesser als Tiermörder bezeichnen. Das kann und muss man nicht ernst nehmen.

          Und mit der Blase von WordPress stehe ich ebenfalls auf Kriegsfuß.

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  4. search engine marketing 20. August 2012 um 11:15 #

    Ich habe seit 1998 einen Organspendeausweis und gehe auch, allerdings unregelmäßig, zur Blutspende. Mich stört, dass viele Menschen zwar eine Transplantation befürworten, wenn sie selbst oder eine ihnen nahestehende Person sie benötigt, aber selber kein Organ- oder Blutspender sein möchten – selbst wenn es für sie körperlich und gesundheitlich möglich wäre. Daher wäre ich dafür, dass die Menschen, die selber einen Organspendeausweis haben, bei der Vergabe von Transplantationen bevorzugt würden. Das würde sicher auch die Spendenbereitschaft erhöhen. Generell möchte ich noch sagen, dass ich meinen Angehörigen nicht zumuten möchte, in ihrer Trauer darüber zu befinden, ob meine Organe gespendet werden sollen oder nicht – dies ist auch ein Grund, warum ich einen Ausweis besitze, um dadurch meine Bereitschaft klar zu dokumentieren!

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  1. Organspende mal wieder | Kall's Einwürfe - 16. Januar 2015

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