„Überlebende“?
Im angelächsischen Bereich war und ist der Ausdruck survivor für Menschen nach einer Krebsdiagnose üblich, Patienten bezeichnen sich auch selbst meist so.
Ich habe das Wort eigentlich nie wörtlich überetzt aufgefasst und würde mich selbst und andere mit einer Krebsdiagnose auch nicht als „Überlebenden“ bezeichnen.
Interessanterweise wird im Moment gerade auch in englischsprachigen Blogs der Begriff lebhaft diskutiert (z.B. hier, hier, hier und an manch anderen Stellen), inwiefern er angebracht sei oder nicht bzw. teilweise auch, ob er politisch korrekt ist oder nicht.
Natürlich muss man so einen Begriff nicht wörtlich auffassen, und wenn sich im deutschen Sprachraum der Begriff Überlebender, der für mich auch etwas holpriger als survivor klingt, eingebürgert hätte, müsste man ihn sicher auch nicht unbedingt im ursprünglichen Wortsinne verstehen.
In Zeiten von pc kommt man aber immer öfter in die Verlegenheit, dass Begriffe, die früher eigentlich relativ wertfrei gehandhabt wurden, plötzlich als auf irgendeine Weise oder irgendwen diskriminierend betrachtet werden könnten (aber natürlich nicht müssen).
Was also ist problematisch an survivor oder meinetwegen auch am deutschen Überlebenden? Man führt an, dass es evtl. diskriminierend bzw. respektlos gegenüber den eben nicht überlebt habenden sein könnte. Nun, diese trifft es ja eher nicht mehr persönlich, allenfalls ihnen Nahestehende könnten davon berührt sein, die werden aber von den pc-Diskutanden meist nicht gefragt.
Survivor bringt zum Ausdruck, dass jemand eine Krebserkrankung, bisher, eben lebend überstanden hat, nicht unbedingt geheilt ist, denn „Heilung“ bei Krebs ist ja eigentlich auch ein unangebrachter Begriff, weil es absolute Sicherheit vor Rezidiven ja nicht gibt. Insofern ist der Begriff zunächst mal zutreffend. Warum bezeichnet man dann aber Menschen, die eine andere, potenziell ebenfalls lebensbedrohliche, Diagnose bisher überlebt haben, nicht ebenfalls standardmäßig als survivor? (Teilweise tut man es ja, aber nicht so regelmäßig wie bei Krebspatienten)
Ich bin, wie gesagt, mit dem Begriff, und schon gar mit seinem deutschen Pendant, auch nicht wirklich glücklich, denn Überlebender würde ich eher jemanden nennen, der einen sehr akuten lebensgefährlichen Zustand, z.B. nach einem Unfall oder eine Sepsis, lebend überstanden hat, und für den nun keine große Gefahr mehr besteht. Für mich hat der Begriff auch etwas zuviel martialisches an sich wie die oft auch im Zusammenhang mit Krebs verwendeten Begriffe Kampf und denselben gewonnen oder auch verloren haben, zu denen ich mich und andere sich an anderer Stelle schon kritisch geäußert
Der Begriff mag in der Zeit entstanden sein, als eine Krebsdiagnose noch ganz überwiegend ein kurz- oder langfristiges Todesurteil bedeutete, man eben in der Regel früher oder später an dieser Erkrankung und nur mit geringerer Wahrscheinlichkeit an etwas anderem starb und die wenigen, die ihre Diagnose wirklich lange überlebten, als geheilt gelten konnten. Heute ist das Erscheinungsbild von Krebs und sind die Prognosen so unterschiedlich, viele Arten werden zunehmend in der Mehrzahl der Fälle zumindest mittelfristig zur chronischen Erkrankung, mit der man sich arrangiert oder auch nicht, und damit anderen chronischen, und dabei doch auch lebensgefährlichen Erkrankungen wie COPD ähnlicher, dass dieses Bild von früher, vom wahrscheinlichen Todesurteil in vielen (natürlich nicht allen) Fällen nicht mehr zutrifft.
So gesehen ist der Begriff survivor, abgesehen von der pc-Diskussion, vermutlich wirklich nicht mehr zeitgemäß.
Nur, hat jemand eine besseren Vorschlag für einen Begriff, den man, ohne ganze Sätze sagen zu müssen, treffend verwenden könnte?
Was meint Ihr, ist survivor oder auch Überlebender noch zeitgemäß, waren die Begriffe überhaupt je angemessen, gibt es sinnvolle Alternativen, braucht man überhaupt solche Vokabeln?
ich finde, allein die tatsache, dass man einen begriff braucht, zeugt davon dass menschen immer schubladen brauchen, um mit bedrohungen wie krebs und chronischen krankheiten klar zu kommen. ich finde, survivor/überlebender sollte ersatzlos gestrichen werden. aber das ist nur meine meinung…
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Hm, ehrlich gesagt hab ich mir noch nicht wirklich große Gedanken darüber gemacht. Ich fühle mich als „Betroffene“, das wäre wohl auch so, wenn ich eine andere chronische oder lebensbedrohliche Krankheit hätte.
Überlebende hab ich noch nie gesagt bzw. gedacht und Survivor hörte ich erstmalig und dann ziemlich oft beim Meeting in London. Wobei die deutschen Anwesenden auch eher zu „Affected People“ tendierten.
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Hm. Etwas überleben ist noch nicht etwas überwinden… aber ich verstehe dein Unbehagen. Ein erfolgreich therapierter Krebspatient ist ja ungefähr so gesund wie ein trockener Alkoholiker… ich weiß, der Vergleich hinkt auf allen Hufen. Einerseits weniger akut bedroht, andererseits aber viel mehr „in der Maschinerie“, mit den regelmäßigen Kontrollen, der immer wiederkehrenden Angst, ob nicht doch was sein könnte.
die werden aber von den pc-Diskutanden meist nicht gefragt.
Nicht nur „meist“, sondern grundsätzlich nicht. Die Diskutanten (mit t, denn die mit d sind die „zu diskutierenden“) würden ja ihr blaues Wunder erleben… und vor allem Gefahr laufen, mit der Wirklichkeit in Kontakt zu kommen!
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Hmm… also ich weiß nicht, ob dass, was ich eigentlich jetzt schreiben möchte, moralisch/ethisch/politisch korrekt und/oder pietätvoll ist – aber wenn man bei diesen Themen nicht „frei Schnauze“ redet, kommt man ja nicht weiter…
Erst einmal denke ich, wir sind alle „Überlebende“, und zwar so lange, bis wir nicht mehr leben. Gestorben wird immer – fragt Undertaker TOM – und bisher hat es noch kein Mensch geschafft, das zu umgehen. (Und ja, auch die in Kalifornien in Stickstoff eingefrorenen sind zumindest gemäß derzeitigen medizinischen Erkenntnissen klinisch tot.) Der Duden sagt zum „Überlebenden“: „substantiviertes Adjektiv, maskulin. Jemand, der ein Unglück o.Ä. überlebt hat.“ Die Frage, ob man das Leben prinzipiell als Unglück betrachtet, interpretiere ich jetzt lieber nicht. Und auch wenn man eine Krebserkrankung prinzipiell als „Unglück“ betrachtet, finde ich die Bezeichnung „Überlebender“ für jemanden, der eine Krebserkrankung „überstanden“ hat, linguistisch völlig unsinnig.
„Gesundeter“ als Alternative ist linguistisch mindestens ebenso fragwürdig. Wer ist schon gesund? Sollte dies jemand von sich glauben, sei demjenigen eine Ganzkörper-Computertomografie ans Herz gelegt – oder um es mit einer alten Diagnostik-Weisheit zu sagen: „Ein gesunder Patient ist nur nicht hinreichend untersucht.“ Das gilt genauso für (bisher) nicht an Krebs erkrankte Menschen. Und von dieser meiner Aussage sollte sich auch niemand verunsichern lassen, der sich gesund fühlt!
Und da sind wir bei dem Punkt, der mir wichtig ist. Bei fast allen Erkrankungen geht es auch darum, wie ich mich damit/dabei fühle, wie ich damit lebe(n kann), wie ich mich mit der Erkrankung und deren Auswirkungen auf mein Leben umgehe. Ich kann kämpfen, akzeptieren, resignieren. Die erste Option bietet sicherlich mehr Chancen auf „längeres Überleben“ als die letzte, aber dieser Fakt alleine und für sich genommen ist kaum aussagekräftig. Denn mein Empfinden hängt nicht nur von meiner eigenen Grundeinstellung ab, sondern auch von den Reflektionen, welche ich als Reaktion auf mein Verhalten und meinen Lebensumstand von allen anderen Personen, also von meinem gesamten Umfeld, diesen Blog eingeschlossen, erhalte.
Und daher halte ich solche Worthülsenverbiegungen wie „Überlebender“ für nicht Ziel führend. Jemand, der eine Krebserkrankung überwunden(?) hat, ist für mich in erster Linie ein Mensch. Nun kann ich einen Haufen Adjektive anfügen, die mein Verhältnis und meine Meinung zu diesem Menschen wiedergeben. Ich kann ihn bewundern (ob seines Durchhaltewillens), ich kann ihn bedauern (ob seiner Grunderkrankung), ich kann ihn verachten (ob dessen, was er trotz/wegen seiner überwundenen (?) Krebserkrankung aus sich gemacht hat – Beispiel: Lance Amstrong). Ich kann ihn als „gesunden“ oder „kranken“ Menschen wahr nehmen.
Ich bemühe mich ehrlich inständig, ihn nicht in eine mit Klischees vorbeklebten Kiste wie „Überlebender – zu bedauern“ abzulegen. Ob das nun politisch korrekt ist, ist mir relativ egal.
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Nachtrag – Ich habe festgestellt, dass ein Satz doch sehr dumm formuliert ist: Es möge bitte keiner denken, dass ich eine (Krebs)Erkrankung als „Glück“ oder „glücklichen Umstand“ betrachten würde. Ich wünsche es niemanden.
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Also ein glücklicher Umstand ist es sicher nie. Aber eine schwere oder potentiell lebensbedrohliche Erkrankung, und das gilt beileibe nicht nur für Krebs, auch wenn das in der Öffentlichkeit eine andere Gewichtung hat, *kann* in gewisser Hinsicht neben allem Leid, neben den teilweise lebenslang weiter bestehenden Unannehmlichkeiten und Folgen doch auch Positives bewirken.
Nicht nur, dass viele anfangen bewusster zu leben, eher in der Lage sind Alltägliches zu genießen, sich an Dingen zu freuen, die vorher zu selbsverständlich oder banal erschienen, um sie überhaupt bewusst wahrzunehmen, manchmal ist es auch, wie es meine Psychoonkologin ausdrückte, „der Stein, der einem in den Weg gelegt werden sollte“ damit man innehalten muss, was man sonst freiwillig eher nicht getan hätte, um Das Leben und vielleicht auch gewesene Dinge neu zu bewerten.
Wie im Post erwähnt fühle ich mich nicht im Wortsinne als Überlebender sondern eben als Betroffener, und das reicht ja auch. Wiewohl ich durchaus auch gern noch einige Jahre oder auch Jahrzehnte weiterhin „überleben“ lieber jedoch einfach „leben“ würde 😉
Für mich ist Kämpfen die falsche Vokabel, für andere mag das anders sein, wie es überhaupt vermutlich so viele verschiedene Wege des Umgangs damit gibt, wie es Betroffene gibt. Für mich ist es eher sich damit zu arrangieren und, wenn es Anlass dazu gibt, überlegt aber konsequent zu handeln, und auf keinen Fall Resignation.
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Ich lasse mal einen Nachtrag da, weil der Beitrag doch offenbar immer mal wieder angeklickt wird: Ich habe mittlerweile eine entspannteres Verhältnis zum Begriff survivor und finde ihn mittlerweile auch gar nicht mehr so schlecht. Er wird in der englischen Fachliteratur ebenfalls verwendet und dort schlicht für Menschen gebraucht, die eben nach der Primärtherapie nach einer Krebsdiagnose noch am Leben sind, egal in welchem Therapiestadium sie sich befinden bzw. ob sie überhaupt noch therapiert werden oder wie lange die Diagnose her ist, also sie vielleicht nach unseren auch nicht wirklich passenden Kriterien als „geheilt“ gelten. Sprache hat auch mit Sprachgebrauch zu tun, und der entwickelt sich, und mit ihm wiederum die Sprache, die Begriffe und ihre Bedeutung. Das habe ich begriffen und umso mehr neige ich dazu große Teile der pc-Diskussion mittlerweile lächerlich zu finden. Aber das ist ein anderes Thema, zu dem es kompetentere Beiträge gibt.
Also: „survivor“ ist für mich ok, ebenso, wenn ich als solcher bezeichnet werde, und in einer englischen Unterhaltung würde ich mich vermutlich mittlerweile slesbt so bezeichnen, auch wenn meine Krebsgeschichte für mich nur noch eine sehr untergeordnete Rolle in meinem Leben spielt.
Martialische Begriffe, wie Kampf, denselben gewinnen oder verlieren finde ich allerdings nach wie vor eher unpassend.
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