Organspende mal wieder

16 Jan

Vorweg geschickt: Ich bin auch nach der neuen Unregelmäßigkeit bei der Dokumentation der Hirntodfeststellung in einem Fall weiterhin überzeugter Organspender, aber es wird einem manchmal schon schwer gemacht, bei der Stange zu bleiben. Wie ich zur Organspende stehe, auch im Zusammenhang mit dem letzten „Skandal“ bei der Vergabe, habe ich schon früher hier und hier dargelegt.

Es wurden diesmal Fehler gemacht bei der Dokumentation der Feststellung de Hirntods, und wie man im nachhinein feststellte ausdrücklich nicht bei der Feststellung selbst, die Patientin war eindeutig vor Beginn der abgebrochenen Entnahme hirntot. Fehler können passieren, obwohl sie es eigentlich nicht dürften, das ist nun mal menschlich, und Restrisiken bestehen, immer und überall. Man sollte jedoch immer die Wahrscheinlichkeiten im Auge behalten. Ich habe mich selbst mehrmals vollständig in die Hand anderer begeben müssen, nichts anderes ist es, wenn man in Vollnarkose operiert wird. Auch wenn das Risiko noch so gering ist, im Prinzip besteht dabei immer Lebensgefahr. Das ist auch so, wenn man ins Auto steigt, autofahren ist immer lebensgefährlich.

Bei einem so sensiblen Thema wie der Organentnahme erwartet man natürlich unbewusst, dass da niemals Fehler passieren dürfen, das trifft auch zu, aber eben nur fast, eine winzig Restwahrscheinlichkeit für Fehler bleibt bestehen. Viel höhere Restrisiken gehen wir täglich viele Male ein, ohne darüber nachzudenken. Ich habe persönlich weiterhin kein Problem mit meiner Entscheidung zur Organspende, ich fühle mich hinreichend sicher in den Händen ganz überwiegend verantwortungsvoller Mediziner.

Ich weiß, dass ich nicht völlig tot sein werde, wenn ich zur Organspende infrage kommen sollte, die benötigten Organe sind ja noch, hoffentlich, quicklebendig, aber ich werde hinreichend tot sein, dass ich mit denen nichts mehr anfangen kann, und das ist mein Kriterium. Jedes Kriterium anderer und jede andere Entscheidung respektiere ich ausdrücklich. Für mich geht es nicht um die Frage tot oder nicht tot, denn Totsein ist inzwischen eine relative Geschichte und endgültig tot ist man erst, wenn die letzte Körperzelle ihre Funktion unwiderruflich eingestellt hat, was aber erst dann der Fall ist, wenn andere Teile längst in Verwesung übergegangen sind. Das zumindest ist der Vorteil, den ich als gelernter Biologe habe: Es ist mir klar, wie tot ich zu einem bestimmten Zeitpunkt bin.

Soweit also nochmal zur Klärung meines Standpunkts zur Organspende an sich.

Zum neuerlichen „Skandal“: Zunächst wurde einfach, und in praktisch allen Medien berichtet, dass es schon wieder eine Unregelmäßigkeit bei einer Hirntodfeststellung gegeben habe und deshalb eine bereits begonnene Organentnahme abgebrochen worden sei. Das impliziert für viele Leser auf den ersten Blick, dass der betreffenden Patient nicht hirntot gewesen sei, warum sonst hätte man die Entnahme abbrechen sollen. Dass das nicht der Fall war, dass der Hirntod ordnungsgemäß festgestellt und dies nur nicht ausreichend dokumentiert wurde, erfährt man, wenn überhaupt, erst etliche Tage später, wenn sich kaum noch jemand dafür interessiert, in Meldungen, die weitestgehend unbeachtet bleiben. Dass außer der Tatsache, dass die dringend benötigten Organe nun nicht zur Verfügung standen, niemandem ein Schaden entstanden ist, wird nicht ausdrücklich erwähnt.

Solches ist inzwischen leider gängige Praxis bei den Journalisten, jeder will der schnellste sein, und so wird die Meldung eben raus gehauen. Abwarten und erstmal die Fachleute abklären lassen was denn nun genau passiert ist, was immer einige Zeit braucht, und dann ordentlich recherchieren kann sich im schnellebigen Medienbusiness offenbar niemand mehr leisten. Hätte man das getan, wäre der öffentliche Aufschrei, den es auch jetzt wieder gab, wohl kleiner ausgefallen und der Schaden, den ein solcher Vorgang immer auch für das ganze System der Organspende anrichtet, geringer ausgefallen.

Ich bin nicht gegen die Berichterstattung über solche Unregelmäßigkeiten an sich,die muss auf jeden Fall sein, aber ich zweifle inzwischen, ob eine möglichst frühe Information der Öffentlichkeit, jedenfalls, solange noch nicht alle Umstände völlig aufgeklärt sind, sinnvoll ist.

Und außerdem: Trotz allem, auch wenn Fehler menschlich sind, auch wenn diesmal kein Schaden entstanden ist, auch wenn solche Fehler gemessen an der Zahl der Organentnahmen sehr, sehr selten sind, auch wenn das Risiko für den einzelnen Organspender wirklich verschwindend klein ist: Das System muss noch sicherer gemacht werden, Fehlerquellen müssen ständig überprüft werden, und wo sie offenbar werden, müssen sie abgestellt werden. Wenn der Eindruck entsteht, dass dies nicht mit der nötigen Sorgfalt und Nachhaltigkeit geschieht, würde vielleicht auch ich eines Tages, aus Protest wohlgemerkt nicht aus Angst, meine Entscheidung Organspender sein zu wollen überdenken müssen.

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