Was ist das wohl?

16 Nov

Ich stehe neben mir beobachte mich und weiß, dass da etwas falsch läuft, ganz falsch. Selbstreflektiv bin ich ja, ziemlich gut sogar, wie mir von kompetenter Seite bestätigt wurde.

Ich weiß, was ich tun müsste, was mir gut tun könnte, was mir gut getan hat. Und ich kriege es nicht hin. Ich kann Dinge, die ich gern getan habe, die mich entspannt haben, die mir Kraft gegeben haben nicht mehr tun, mich nicht mehr aufraffen, die meisten jedenfalls.

Ich war früher mal fast wöchentlich im Kino, was ich mir nicht mehr leisten könnte, aber ich habe einen seit langem unbenutzten Kinogutschein.

Ich war früher mindestens zweimal wöchentlich im Wasser, schwimmenderweise, und ich habe eine Wertkarte für ein sehr schönes Wellnessbad, die mir etliche Eintritte ermöglichen würde, ich war ein einziges mal vor fast einem Jahr dort, was mir damals gut getan hat.

Wenn ich dann wirklich einmal etwas tue, was ich eigentlich gern täte, worauf ich mich gefreut habe, schaffe ich es nicht, das uneingeschränkt zu genießen. Zuletzt habe ich ein wirklich großartiges Konzert von Jean Michel Jarre besucht (worüber ich auch mal was schreiben sollte), das mir als außerordentlich großzügiges Geschenk einiger Bekannten und Freunde ermöglich wurde, und das ich mir selbst nicht hätte leisten können.

Immer wieder ist aber dann da das schlechte Gewissen: Es ist schon soviel Arbeit liegen geblieben, die längst getan sein sollte, der Schreibtisch sieht aus wie ein Schlachtfeld. Und doch schaffe ich es nicht mich effektiv und konzentriert länger damit auseinanderzusetzen, ohne das mich Grübeleien, Zweifel, schlechtes Gewissen, das Gefühl von Sinnlosigkeit wieder ablenken. Und ich lenke mich selbst ab mit allem möglichen.

Ich weiß selbst wie paradox das ist. Ich kenne sie ja alle, die guten Ratschläge: Entspann Dich mal. Du musst auch mal was für Dich tun. Grübel nicht so viel.
Ich kenne inzwischen durchaus auch ein paar potentiell wirksame Werkzeuge, Tagespläne, Mittel zur Strukturierung, wo mir doch die Struktur so sehr abhanden gekommen ist, habe einen MOOC zur Prokrastination mitgemacht. Ich weiß das doch alles!

Aber ich stehe neben mir und schaue mir zu, wie ich es einfach nicht gebacken kriege. Der Antrieb ist weg, oft vollständig, manchmal auf Bereiche beschränkt. Ich funktioniere gerade noch so, dass ich, meist unmotiviert, die allerwichtigsten Dinge, dringende Aufträge noch eben erledigt kriege. Ich quäle mich buchstäblich jeden Morgen meist später, als ich es vorhatte und sinnvoll gewesen wäre, aus dem Bett, in dem ich am liebsten liegen bleiben würde. Aber ich weiß ja, dass das die ohnehin mehr als angespannte Lage noch schwieriger mache würde.

Es gibt noch einen Bereich, der mir immer mal wieder Bestätigung und das Gefühl von Selbstwirksamkeit gibt, das mit in fast jedem anderen Bereich so fehlt. Das ist mein Ehrenamt. Aber auch da herrscht schlechtes Gewissen: Kann ich es mir eigentlich leisten, dafür soviel Zeit „zu verschwenden“, wo ich doch soviel „wichtigere“ Dinge erledigen müsste, die ich nicht geschafft kriege? Natürlich ist mir rational klar, dass ich nicht darauf verzichten sollte, mir wenigstens da Bestätigung zu holen, wo es noch funktioniert. Aber immer wieder sind da die Zweifel. Paradox ist auch, das ich offensichtlich anderen helfen konnte, teilweise mit Ratschlägen, die ich mir selsbt auch geben könnte. Sie greifen aber nicht, bzw. ich schaffe es nicht sie umzusetzen, ich schaffe es einfach nicht.

Dieses Gefühl der Ohnmacht, der Sinnlosigkeit der allermeisten Anstrengungen, die dann am Ende doch nicht ausreichen, macht auch teilweise wütend oder zumindest ungehalten auf mich  selbst. Ich merke ja, was aus dem Ruder läuft.

Die Ursachen sind vermutlich kaum eindeutig festzumachen. Es gab in den letzten Jahren überreichlich persönliche Belastungen. Todesfälle, etliche gesundheitliche Baustellen inklusive einer – wohl überstandenen – Krebserkrankung, vor allem wirtschaftliche Schwierigkeiten und geschäftliche Rückschläge zuhauf, familiäre Belastungen, mit pflegebedürftigen  und zum Teil schwer psychsich kranken Angehörigen bzw. Angehörigen von Angehörigen. Alles Dinge, die andere schon heil überstanden und sich wieder aufgerappelt haben. Mir haben sie offensichtlich  mehr zu schaffen gemacht als anderen. Selbstbewusstsein war noch nie meine wirkliche Stärke, auch als Kind und Jugendlicher schon nicht, obwohl ich im Grunde zumindest zeitweise nicht unerfolgreich war. Ich habe in einer längeren und schon vor längerem beendeten tiefenpsychologisch fundierten Therapie das ein oder andere über mich selbst erfahren. Diese Einheiten haben mich auch immer mal wieder aufgebaut, letztlich wirklich erfolgreich waren sie am Ende wohl rückwirkend betrachtet doch nicht. Wie gesagt, ich weiß schon das ein oder andere über mich, Selbstreflexion kann ich. Nur will es mir nicht so recht helfen.

Es gibt andere Möglichkeiten, wie genetische Disposition, Alter, Folgeerscheinungen von medizinische Maßnahmen. Vielleicht hat ADS eine Rolle gespielt, das war zu meiner Zeit kein Thema, obwohl vieles im Rückblick darauf hindeutet.

Es ist „not just sad“ ja meist noch nicht einmal das. Ich bin eigentlich nicht wirklich oft traurig, ich bin auch nicht müde, wie von  burnout oder (Tumor-)Fatigue Betroffene. Ich bin, soweit ich weiß, durchaus humorvoll, kann auch in dieser Situation lachen. Aber es fehlt trotzdem etwas essentielles, was früher da war. Manchmal wären intensive Gefühle, auch negative, vielleicht sogar besser.

Trotz des häufigen Gefühls von tiefer Sinnlosigkeit bin ich allerdings gottseidank ziemlich sicher nicht suizidal.

Es gibt einen Namen, ich weiß ihn inzwischen. Ich werde es demnächst aufklären. Vielleicht weiß oder ahnt es auch der ein oder andere, der das jetzt liest, schon.

Ich bin mir nicht sicher, ob man das öffentlich machen sollte. Aber ich denke, es hilft mir mit, mich zu sortieren, und das könnte Grund genug sein, es zu tun. Eine Karriere, der es schaden könnte, ist nicht zu sehen. Und andere haben es auch schon getan.

4 Antworten zu “Was ist das wohl?”

  1. Trippmadam 17. November 2016 um 05:24 #

    Es geht mir gerade ähnlich, und auch ich finde keine Ursache. Zu einem Ehrenamt fehlen mir Selbstvertrauen und Energie. (Eine Depression ist das bei mir nicht, die habe ich vor Jahren überstanden und ich habe Grund zu der Annahme, dass sie nicht wiederkommen wird.) Wir werden sehen.

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  2. sue 17. November 2016 um 10:02 #

    Zwischen Winter-Blues, Depression und BurnOut, macht es Sinn, auch mal den Testosteronspiegel prüfen zu lassen. (Deine Schilddrüsenwerte sind ja vermutlich noch unter mehr oder weniger ständiger Kontrolle)
    Das Testosteron ist bei Männern sehr oft Ursache für derartige Probleme und wird meist überhaupt nicht, oder erst sehr spät bedacht. Ein Blutwert ist eigentlich schnell und ohne großen Aufwand bestimmt.
    Ich kenne derartige Zustände leider gut. Ich war fünf Wochen, (lange vor dem Krebs) freiwillig und von alleine, weil einfach nichts mehr ging, stationär in einer psychiatrischen Klinik und habe da, neben der für mich damals notwendigen Medikamente, sehr vieles gelernt.
    Für mich war in den letzten Jahren, gerade im Winter, das Ehrenamt ein echter Segen. Das ist eine Win-Win Angelegenheit und hilft mir über die dunkle Zeit. Außerdem macht es auch im Sommer Spass.

    Ich drücke Dir die Daumen, für ein möglichst schnelles Erkennen oder Ausschliessen ev. Ursachen und eine Verbesserung der Situation.
    Falls Bedarf an konkreten Rückfragen bestehen sollte, meine Mail sollte ja noch bekannt sein 😉

    Gruß
    Sue

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    • Karl 17. November 2016 um 15:23 #

      Es ist schon fachärztlich abgeklärt, und ich bin auch in (ambulanter) Behandlung und inzwischen medikamentös unterstützt, mit einem gewissen Erfolg. Weitere Hilfen sind/werden auf den Weg gebracht Damit beschäftigt sich der nächste Post. Ich hatte das getrennt.

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  3. madimaus 13. Dezember 2016 um 12:56 #

    Ich denke, „einfach Psyche“ triffts ganz gut und sagt alles. Egal wie sehr man sich anstrengt, der Kopf ist so stark und mächtig, dass man das eigene Erleben nur schwer anderen begreiflich machen kann, weil selbst wenn man selbst weiß, was da wie passiert und man ein Bewusstsein dafür entwickelt – es ändert nichts. Man weiß es, man weiß, was man tun kann, aber die Kluft zwischen Wissen und Handeln ist dennoch da…und eine Brücke gibts nicht…

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