Beziehungsweise, was ist es denn nun? Die Frage im letzten Post war eher rhetorisch, denn eigentlich dürfte es einigermaßen klar sein. Ich hab das Thema trotzdem auf zwei Beiträge aufgeteilt, weil der Tenor des zweiten etwas anders ist, weniger eine Zustandsbeschreibung als Ursachen und Lösungansätze zum Inhalt hat. Vielleicht war es auch eine merkwürdige Idee, den ersten Beitrag so offen zu lassen.
Es handelt sich um eine Depression. Nicht mehr „nur“ um eine depressive Verstimmung. Dafür hält es zu lange an und beeinträchtigt praktisch meinen gesamten Alltag zu sehr, sofern man da noch von geregeltem Alltag reden kann. Und es gibt Kriterien dafür, von denen genügend zutreffen, wiewohl das Erscheinungsbild idividuell sehr unterschiedlich sein kann. Das ist auch inzwischen psychiatrisch abgeklärt, und ich bin in ambulanter Behandlung. Der Gang zum Psychiater war dann letztlich logisch, man geht mit anderen medizinischen Problemen ja auch zu einem entsprechenden Facharzt. Bei der Entscheidung für die Psychiatrie ist es vielleicht nicht ganz so selbstverständlich, weil immer noch mit vielen gesellschaftlichen Tabus behaftet. An sich hab ich da wenig Berührungsängste, zumal ich den ein oder anderen Betroffenen zumindest virtuell aber auch im real life kenne. Nur muss man erstmal drauf kommen, dass man wirklich betroffen sein könnte und für sich selbst erkennen, dass es dafür ja einen Facharzt gibt.
Da ich nicht suizidal bin, ist eine stationäre Behandlung nicht unbedingt indiziert, obwohl ich prinzipiell auch damit kein Problem insofern hätte, als ich da keine der üblichen verbreiteten Vorbehalte oder Befürchtungen habe. Allerdings wäre das in meiner derzeitigen Situation ziemlich sicher mit dem Ende meiner wirtschaftlichen Existenz verbunden, da es keine realistische Chance gäbe, mein Geschäft aufrecht zu erhalten. Kundschaft wäre zumindest teilweise verloren, eine Vertretung während einer stationären Behandlung wäre nicht finanzierbar, und das würde einen ganzen Rattenschwanz von Weiterungen nach sich ziehen, die allesamt mehr als belastend wären. Das sieht auch mein Behandler so, aber es gibt ja andere Möglichkeiten.
Ich bin inzwischen nach einem mehrwöchigen Fehlversuch mit einem SSRI, der mehr Nebenwirkung als spürbare erwünschte Wirkung erbrachte, mit einem noch relativ niedrig dosierten modernen resversiblen selektiven MAO-Hemmer versorgt, der außer auf Serotonin und Noradrenalin zusätzlich auch die Dopaminverfügbarkeit erhöht. Letzteres scheint für mich der Hauptgrund dafür zu sein, dass mir das Medikament eine Besserung bringt, sowohl der Stimmung als auch des Antriebs, auch wenn da sicher noch einige Luft nach oben ist. Man wird sehen, ob demnächst evtl. mit einer etwas höheren Dosierung noch mehr erreicht werden kann. Das kurz wirkende Schlafmittel zur Behebung der als anfängliche Nebenwirkung auftretenden Einschlafstörungen wird langsam ausgeschlichen, so wie es komfortabel möglich ist.
Natürlich wird auch anderweitig zusätzliche Arbeit notwendig sein. Ich werde versuchen eine kognitive Verhaltenstherapie zu bekommen, was bei der hiesigen Therapeuten“dichte“ und den üblichen Wartezeiten nicht ganz einfach sein wird. Aber ich möchte jetzt einen eher praxisorientierten Ansatz versuchen. Die vor längerem schon beendete tiefenpsychologisch fundierte Therapie hat mir einige Erkenntnis über mich selbst erbracht aber mich in der Übertragung von Erkenntnissen in den Alltag nicht wirklich viel weiter gebracht. Für die Zwischenzeit werde ich mich um ein online-Betreuungsprogramm meiner Krankenkasse bemühen, das diese offenbar nach einer Studienphase in 2014 und 2015 seit Oktober wieder aufgelegt hat, und von dem ich bis heute nichts wusste. Das ist auch prinzipiell verhaltenstherapeutisch angelegt und wird von ausgebildeten Therapeuten betreut. Solange noch keine andere Therapie begonnen oder fest geplant wurde, kann man das Angebot wahrnehmen.
Ursachen? Früher hat man ja nach endogener und reaktiver Depression unterschieden. Soweit mir bekannt ist, macht man das heute nicht mehr. Endogen ist ja eigentlich auch nur das Synonym für nix genaues weiß man nicht. Letztlich hat es immer irgendwie mit dem Hirnstoffwechsel bzw. den Neurotransmittern und ihrem Verhältnis zueinander zu tun, der aus welchem Grund auch immer irgendwie gestört oder verändert ist. Wie die Missverhältnisse dort letztlich zustande kommen, könnte einem zunächst mal egal sein, sie sind ja schon da, und man sollte etwas tun, um das positiv im Sinne einer Besserung der Symptome zu beeinflussen. Etwas darüber nachzudenken, was mögliche Grundlagen dieser gestörten Gleichgewichte sein könnten, ist aber natürlich auch sinnvoll.
Für mich steht im Vordergrund zunächst die Aufsummierung der Belastungen der letzten, sagen wir 8-10 Jahre, die alle geprägt waren von mindestens jeweils zwei schwerwiegenden teilweise existenzbedrohenden Ereignissen.
Daneben wurde ich auch darauf hingewiesen, dass individuell verschieden auch das Altern selbst diese Gleichgewichte verschieben kann. Da der MAO-Hemmer deutlich besser wirkt als der SSRI, kam für mich auch das Thema Dopamin aufgrund meiner Familienanamnese in den Sinn. Beide meine inzwischen verstorbenen Eltern litten im Alter an Erkrankungen, die durch einen Mangel an Dopamin gekennzeichnet sind und durch Dopamin bzw. L-Dopa günstig beeinflussbar waren (Parkinson, restless legs). Eine genetische Disposition für Störungen diesbezüglich wäre also auch denkbar und wurde vom Arzt nicht ausgeschlossen, da es für beide Syndrome genetische Prädispositionen mit familiär erhöhtem Erkrankungsrisiko gibt. Obwohl mein letzter Besuch beim Neurologen wegen der auch bestehenden Polyneuropathie schon eine Weile her ist, denke ich, dass zur Zeit eine aktuelle Erkrankung an einem der beiden Syndrome noch ausgeschlossen werden kann. Vielleicht ist aber eben das Verhältnis von Dopamin zu anderen Neurotransmittern bereits gestört. In jedem Fall ist der MAO-Hemmer für mich bisher eine Hilfe, und ich hoffe, da lässt sich noch mehr machen.
Es geht mir noch nicht gut aber besser. Immerhin denke ich, die medikamentöse Unterstützung wird es mir leichter machen, weitere Hilfen und vielleicht Lösungen zu suchen und zu finden.
Hallo Karl, ich weiß dass schlaue Sprüche nichts helfen, aber aus meiner eigenen Erfahrung heraus kann ich sagen, dass ein solcher Tiefpunkt, wenn man rückblickend draufschaut, auch einen umfassenden Wendepunkt für das eigene Leben darstellen kann. Für mich war Gestalttherapie das Mittel der Wahl. Und das hier: https://www.amazon.de/dp/3936855803
Alles Gute!!
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Den Wendepunkt hatte ich schon. Die Schilddrüsenkrebsdiagnose hat einige Dinge losgetreten, die sonst nicht stattgefunden hätten, in negativer wie in positiver Hinsicht.
Gestalttherapie war eine Option, die ich mal zu Zeiten einer psychoonkologischen Intervention angedacht hatte. Der Pferdefuß daran ist, dass das kein durch die Krankenkassen anerkanntes Verfahren ist und somit eine Kostenübernahme nicht oder nur mit ziemlich großen Hindernissen unter anderem dem Nachweis von etlichen (im damaligen Fall 10) erfolglosen Versuchen, „in angemesserner Zeit“ bei einem kassenzugelassenen Therapeuten in „zumutbarer Entfernung“ unterzukommen, verbunden. Eine komplette oder auch nur teilweise Selbstfinanzierung war und ist völlig jenseits aller Möglichkeiten.
Es wurde dann wie erwähnt eine tiefenpsychologisch fundierte Therapie, was mich, ich schrieb das ebenfalls, eine Menge *über* mich selbst lernen ließ. Jetzt suche ich etwas mit mehr Praxisbezug, um endlich die Werkzeuge, die ich schon kenne und andere, die ich noch nicht kenne umzusetzen und in den Alltag integrieren zu lernen, denn es wird ein Lernvorgang sein müssen und der Übung und Begleitung dabei bedürfen. Ich habe erkannt, dass ich diesen Lernvorgang offenbar nicht allein und nicht mit meiner derzeitigen Hirnchemie bzw. der der letzten Jahre schaffen werde. Deshalb bin ich bei meinem Arzt, um mir zunächst die pharmazeutische Unterstützung zu holen, die mir den Einstieg und hoffentlich den Erfolg bei eben diesen Lernbemühungen erleichtern soll. Das wird keine Sache von Wochen sondern eher von vielen Monaten oder noch länger sein. Aber auch mit 60 sollte es noch nicht zu spät sein, etwas Neues zu versuchen.
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Ich wünsche Dir viel Erfolg auf Deinem Weg und einen guten und passenden Therapeuten. Das ist ja heute leider gar nicht so einfach.
Ich hatte während meines stationären Aufenthaltes und in der nachfolgenden Reha, zum Glück sehr gute Therapeuten und musste dann zuhause, nicht auf die Suche. Mir hat danach dann die medikamentöse Therapie ausgereicht, aber ich kenne diese Therapeutensuche aus dem Freundeskreis und weiß, dass das gar nicht so einfach ist. Ich war damals aber auch angestellt und nicht selbstständig und da kann man natürlich ganz anders entscheiden.
Meine Daumen sind gedrückt
LG
Sue
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Alles Gute!
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