Prävention

11 Sept

Im Moment läuft gerade eine große Kampagne zur Primärprävention von Krebserkrankungen an, im wesentlichen vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg und der Deutschen Krebshilfe betrieben. Hintergrund ist, dass theoretisch(!) etwa 40% aller Krebsneuerkrankungen vermieden werden könnten, wenn alle(!) Menschen sich in ihrem Lebensstil entsprechend optimal(!) verhalten würden. Damit ist aber auch schon gesagt, dass diese Zahl eine wirklich theoretische ist, die in der Praxis weit davon entfernt ist, erreichbar zu sein. Dies wird bei der Kampagne allerdings nicht erläutert, denn 40% klingt natürlich besser als die 10-20%, die sich vermutlich bei einiger Anstrengung tatsächlich maximal erreichen ließen.

Die 40% würden nämlich bedeuten, dass niemand mehr raucht, alle weitgehend auf Alkohol verzichten, alle ihr Idealgewicht erreichen und halten, alle sich maximal gesund ernähren, alle mindestens 5 mal 20min in der Woche Sport treiben, alle genügend schlafen und einiges mehr, und zwar eben alle und alles gleichzeitig. Da im wesentlichen ohne weitere Erläuterung von diesen 40% vermeidbaren Krebserkrankungen zu reden, halte ich für etwas unredlich.

Nun macht ja Primärprävention durchaus Sinn. Jede verhinderte Krebserkrankung ist verhindertes Leid, nicht nur für die Erkrankten selbst sondern auch für die in aller Regel mitbetroffenen Angehörigen und Bezugspersonen. Jede verhinderte Krebserkrankung bedeutet auch eine Menge eingesparte Kosten, was die eigentliche Behandlung der Erkrankung und ihrer Folgen (Langzeitfolgen, psychische Störungen ect. auch der Mitbetroffenen) betrifft, aber auch gesellschaftliche Folgekosten durch Arbeitsausfälle, Frühverrentung etc. Ein Aspekt, an dem man einfach nicht vorbei kommt, und wenn es nur darum geht, den verbliebenen Erkrankten eine optimale und leider auch immer teurer werdende Therapie zu ermöglichen (die allerdings auch dazu beträgt, dass viele Erkrankte wieder oder länger ins Arbeitsleben zurückkehren können und dadurch wiederum gesellschaftliche Folgekosten abgemildert werden).

Allerdings sollten solche Kampagnen zu zwei Dingen nicht führen, die leider immer öfter zu beobachten sind: 1. Victim blaming und 2. ein massiver gesellschaftlicher Zwang zur Selbstoptimierung.

Erstens kann man eine konkrete Krebserkrankung einer konkreten Person praktisch nie auf eine konkrete Ursache zurückführen. Einem einmal erkrankten Raucher die Schuld an seiner Erkrankung zuzuweisen ist schlicht Blödsinn, weil eben auch lebenslange Nichtraucher an Lungenkrebs erkranken können, ohne dass eine konkrete Ursache fassbar wäre und andererseits auch Kettenraucher ohne eine Lungenkrebserkrankung davon kommen können. Exakt das gleiche gilt für alle anderen Lebensstilfaktoren. Auch die penibleste Einhaltung sämtlicher Empfehlungen dazu verhindert nicht sicher, irgendwann von irgendeiner Krebserkrankung betroffen zu sein. Es geht immer nur um Wahrscheinlichkeiten und Verringerung von Risiken, was durchaus möglich ist. Die Schuldfrage lässt sich nicht klären, und für die Betroffenen ist sie auch überhaupt nicht mehr relevant.

Obwohl dies insbesondere den Fachleuten rund um Krebserkrankungen bekannt sein sollte, wird bisweilen sogar von diesen victim blaming, also Schuldzuweisung an die Betroffenen betrieben, was nicht ohne Auswirkung auf das Verhalten und die Meinungen in der Gesellschaft insgesamt bleibt. Hier tut allgemeine Aufklärung not, die am besten in Verbinung mit einer Kampagne wie der jetzigen betrieben würde, was aber leider nicht der Fall ist. Leider ist eben zu erwarten, dass sich der Trend, Erkrankten, nicht nur von Krebs Betroffene, die Schuld für ihre konkrete Erkrankung zuzuschieben, verbunden leider auch oft mit der Forderung nach einer Sanktionen im Erkrankungsfalle, fortsetzt. Das bedeutet letztlich Menschen dafür bestrafen zu wollen, dass sie krank geworden sind, obwohl im konkreten Falle nicht nachgewiesen werden kann, was genau und ob ein konkretes, eindeutig benennbares Fehlverhalten die Ursache war.

Zweitens ist die Forderung nach einem gesunden Lebensstil natürlich auch gleichzeitig eine Forderung nach Selbstoptimierung. Das ist zunächst einmal nicht schlimm, solange das nicht zur gesellschaftlichen Ächtung derer führt, die dieser Forderung nicht oder nicht im vollen Umfang (was letztlich auch gar nicht möglich ist) nachkommen, aus welchen Gründen auch immer, die nicht bewertet werden sollten. Bodyschaming, religiös überhöhte Ernährungsideologien, die genau als solche aggressiv vertreten werden, manisches Sporttreiben mit Ausgrenzung derer, die sich nicht daran beteiligen wollen oder können, und andere Auswüchse sind letztlich die mittelbaren Folgen eines verstärkten gesellschaftlichen Zwanges zur Selbstoptimierung.

Ob und wie weit ich mich selbst optimieren kann und will muss am Ende immer noch ich selbst und ohne Zwang entscheiden können. Sanktionen sind nicht sinnvoll, Belohnungen im Einzelfall ggf. schon. Forderungen nach höheren Beiträgen zur Krankenversicherung für Bewegungsmuffel oder Raucher wurden durchaus schon laut, sind aber ganz sicher der falschen Weg und führen am Ende zu Diskriminierungen. Belohnung in Form von Bonusprogrammen können hingegen einen positiven Effekt bringen, sollten aber richtig konzipiert sein.

4 Antworten zu “Prävention”

  1. sue 11. September 2019 um 13:35 #

    Ich habe zu statistischen Zahlen ein ganz besonderes Verhältnis. Meine Lebenserwartung lag statistisch so bei ca 14 Monaten. Das ist nun ungefähr 10 Jahr her . . . . 🙂

    Alleine Nachtschicht und das Arbeiten entgegen des eigenen Rhytmus erhöht die statistische Wahrscheinlichkeit an Krebs zu erkranken um ca. 20 % . . . . wie will man das „bekämpfen“ ???

    Etwas für Früherkennung und das Bewußtsein zu tun ist sicher nicht von Nachteil, aber gegen statistische Zahlen zu kämpfen ist einfach nur unsinnig.
    Von Schuldzuweisungen halte ich sowieso nix und dazu hast Du ja schon alles gesagt.
    Ich mir Deiner Sicht nur voll anschliessen.

    Lieben Gruß
    Sue

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  2. Geschichten und Meer 11. September 2019 um 18:25 #

    Gerade sportliche Betätigung ist doch sehr schwer zu kontrollieren. Soll ich mir alle sechs Monate eine Bescheinigung über den regelmäßigen Besuch der Turnstunde ausstellen lassen? Wenn ich allein und ungesehen durch den Wald jogge, muss ich da den Fitness-Tracker meiner Krankenkasse umschnallen? Wo bleibt bei letzterem der Datenschutz?

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    • Karl 11. September 2019 um 20:29 #

      Letztlich ist keiner der Lebensstilfaktoren gut zu kontrollieren, was manche Leute trotzdem nicht davon abhält Sanktionen für die zu fordern, die sich nicht „vernünftig“ verhalten.
      Bonussysteme funktionieren meist auf der Grundlage, dass man sich irgeneiner Gruppe oder so nschließt, etwa einem Lauftreff und sich die Teilnahme bescheinigen lässt. kann man machen, muss man aber nicht. Für mich ist das auch nichts.
      Bisweilen ist ein Anreiz für mich nicht schlecht, weil ich an sich eher träge bin, besonder während ausgeprägterer depressiver Episoden. Insofern kommt mir z.B. die Diät wg. des neuen Medikaments entgegen. Ich muss sie einigermaßen befolgen, wenn ich davon profitieren will. Ohne sie einzuhalten kann ich das Medikament nicht nehmen. Tendenziell sind die erlaubten Lebensmittel eher die gesunden und frischen.

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  1. 37. Woche – Geschichten und Meer - 13. September 2019

    […] Kall beschäftigt sich mit Prävention und zeigt, dass die Dinge nicht so einfach sind, wie man […]

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