„Wohl auf den modischen queer-Zug aufgesprungen?“ Solche oder ähnliche Fragen hatte ich befürchtet von Menschen, denen gegenüber ich mich erklärt habe. Bisher habe ich solche Antworten nicht erhalten. Allerdings sind es auch noch nicht allzu viele Menschen, denen ich erklärt habe, dass ich kein Mann bin, genauer gesagt nicht nur ein Mann.
Ich selbst habe mir diese und ähnliche Fragen schon länger gestellt, so etwa seit eineinhalb bis zwei Jahren, seit ich mich näher mit dem Thema im Zusammenhang mit meiner Biografie befasst und vor allem Begrifflichkeiten kennengelernt und zunehmend verstanden habe. Letzteres ist wichtig, um zu verstehen, warum ich erst mit 66 soweit gekommen bin mich als non binary zu verstehen. Begriffe, an denen ich mich orientieren kann, mit denen ich mich einordnen kann, mich definieren kann, sind sehr wichtig für mich, vielleicht wichtiger als für andere. Andererseits, können, einmal hilfreich gewesen, Kategorieren auch wieder unwichtig werden, wenn ich einmal meinen Platz gefunden habe.
In den letzten, sagen wir vier bis fünf, Jahren habe ich mehr über Geschlechts-/Genderidentitäten, Beziehung, romantische und sexuelle Identität gelernt als in meinem ganzen Leben vorher.
Als Kind
ab Anfang der 60er, so ab 4, woran ich mich bewusst erinnere, gab es nur zwei Möglichkeiten. Mensch war Junge oder Mädchen, von Anfang an, und daran gab es nichts zu rütteln. Jungen hatten einen Penis, und Kinder, die keinen hatten, waren Mädchen. Trotzdem war irgendetwas anders. Andere Jungen hatten einen besten Freund, ich hatte eine beste Freundin. Später vielleicht ab 6 kam die Phase, wo Jungen Mädchen doof fanden, ich fand sie nett und, dass ich oft besser mit denen auskommen konnte als mit Jungen, die sich gelegentlich auch mal prügelten, was mir zutiefst zuwider war. Dass Mädchen nicht mitspielen durften, hab ich nie verstanden. Und ja, manchmal dachte ich daran, wie es wohl wäre ein Mädchen zu sein, und dass eventuell gar nicht so schlecht wäre. Aber an der Tatsache, ein Junge zu sein, schien ja nichts änderbar. Und so richtig Mädchen wollte ich auch irgendwie nicht sein, also meistens. Meiner damaligen besten Freundin ging es übrigens ähnlich, nur andersrum. Wir haben tatsächlich in dem Alter darüber gesprochen. Ab und zu verkleidetete ich mich auch mal weiblich. Trans, war damals, Anfang der 60er, vermutlich keiner Person, gleich welchen Alters in meiner Umgebung, ein Begriff. Irgendwann in sehr früher Jugend nahm ich Travestie, und dann auch „Transsexualität“ wahr, wobei das wohl für die meisten in meiner Umgebung, auch die gleichen Alters, eher das gleiche oder auch das selbe sein musste. Für mich nicht. „Transsexualität“ (die Anführungszeichen , weil ich, damals nicht, aber heute natürlich weiß, dass der Begriff falsch ist) war damals für mich immer mit Operation verbunden, Travestie waren für mich Männer. Dass es wohl auch damals Menschen gab, die nicht in dem Geschlecht lebten, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde, aber keine geschlechtsangleichende Operation gehabt hatten, war mir nicht klar.
Als Jugendlicher und junger Erwachsener
hatte ich durchgehend eher einen androgynen Körper, bis ca. 40 deutlich untergewichtig und eher zartgliedrig, obwohl 1,84 groß. Damit unterschied ich mich deutlich von den meisten meiner männlichen Altergenossen. Auch als Jugendlicher gab es Phasen, in denen ich mir vorstellte, wie es wäre das andere binäre Geschlecht zu haben bzw. in ihm zu leben. Auch da war für mich rational nichts anderes fassbar als eben diese beiden Möglichkeiten, Mann oder Frau, ganz oder garnicht. Meine beste Freundin aus Kindertagen traf ich übrigens als junger Erwachsener wieder, auch sie damals eher androgyn. Wir waren uns immer noch symphatisch, mehr allerdings nicht. Der Versuch, als „normaler“ heterosexueller cis-Mann zu leben fand auch äußerlich statt. Ich wollte zumindest wie einer aussehen, während ich versuchte als einer zu leben und hatte doch immer wieder das Bedürfnis auch anders, eben nicht so männlich sein zu müssen, glaubte aber, dass es von mir erwartet wurde und erwartete es auch von mir selbst, denn Frau und trans – bzw. was ich damals darunter verstand – war ich ja auch offensichtlich auch nicht. Nun, trans* im Sinne von nicht binär und damit nicht das mir bei Geburt zugewiesene Geschlecht habend war ich schon, ich wusste nur nicht, dass es das gibt und konnte mir deshalb dessen auch nicht bewusst werden. Das ist der Grund, weshalb ich so auf die Begriffe abgehoben habe und weshalb ich sie zumindest für mich und die Bewusstwerdung meiner Identität für so wichtig halte, und weshalb ich es überhaupt für wichtig halte (auch Selbst-)Definitionen zu finden, auch wenn es das Thema durch ihre Vielfalt für manche vielleicht verkompliziert. Hätte ich die Begriffe (die für mich jetzt zutreffenden werde ich später noch anführen) früher zur Verfügung gehabt, wären mir viele Konflikte mit mir selbst erspart geblieben, ich hätte leben können, was ich bin und nicht, was ich glaubte sein zu müssen.
Überhaupt Beziehungen, Sexualität
Da offenbar keine Frau, versuchte ich (eigentlich weitgehend mein bisheriges Leben lang) mich in die heteronormative cis-Männlichkeit zu fügen und sie zu leben. Wirklich funktioniert hat das nie, weil ich offenbar kein „richtiger“ Mann war, jedenfalls nicht nur, was ich damals zwar vielleicht unterbewusst ahnte, aber mir nie bewusst wurde, es vielleicht auch nicht bewusst werden lassen wollte, weil das ja nicht in mein binäres Schema passte. Nach zweieinhalb mehr oder weniger frustranen und kurzen cis heterosexuellen Beziehungen lernte ich Mitte 20 meine Frau kennen, wir lebten zusammen, hatten ab und zu ein bisschen Sex, heirateten wurden Eltern einer Tochter, hatten weiterhin ab und zu Sex. Unspektakulär aber immer noch zusammen, seit 40 Jahren, 35 davon verheiratet. Und nein, das empfinde ich keinesfalls als schlimm oder, dass sich das unbedingt ändern müsste, sondern das bin ich auch.
Etwas, was sich für mich zeitweise merkwürdig anfühlte, ist, dass ich mich zu Männern hin und wieder (wie ich es heut benennen kann) romantisch, teilweise auch erotisch aber nie wirklich sexuell hingezogen fühlte. Eine längere romantische und schwierige Beziehung zu einem leider früh verstorbenen Mann hatte ich. Wenn er noch leben würde, könnten wir jetzt vermutlich einiges klären. Ich mag durchaus Bilder von attraktiven Männern auch in erotischen Posen, aber sie ziehen mich nicht sexuell an, noch erregen sie mich, was bei Frauen und Personen, die ich weiblich lese, anders ist. Allerdings spielt Sexualität als Geschehen zwischen zwei Personen oder mehreren Personen sowieso eher eine Nebenrolle für mich. Gibt es, findet gelegentlich statt, ist dann auch befriedigend, ist aber nichts, ohne dass ich nicht leben könnte.
Dysphorie
Nur kurz. Ja gab es, zeitweise heftig und dabei nicht wirklich wissend was und warum und gibt es teilweise noch. Körperliche und vor allem soziale. Und ich hoffe, dass das anders wird.
Was ist nun anders als vorher?
Ich weiß nun, dass es mehr als Mann oder Frau, ob cis oder trans, gibt. Und ich weiß nun, dass ich mehr als Mann sein kann und darf. Ich weiß nun, dass ich trans im Sinne von demi male (man) sein kann, darf und bin.
Ich weiß nun, dass ich nicht nur hetero-, homo- oder bisexuell sein muss sondern auch demisexuell und von als Frauen gelesenen Personen angezogen sein kann, und dass das vollkommen richtig ist.
Ich weiß nun, dass ich romantisch im Sinne einer engen liebevollen Beziehung auch von männlich gelesenen Personen und überhaupt von allen Geschlechtern/Gendern angezogen sein kann ohne gleichzeitig sexuelles Interesse an ihnen zu haben, das ist panromatisch sein zu können ohne das „merkwürdig“ zu finden, was mir früher so ging.
Ich weiß nun, dass ich als Elter zusammen mit einer cis Frau kein heterosexueller cis Mann sein muss.
Das ist schon anders und befreiend. Und inzwischen weiß ich auch, dass ich mir das nicht alles einbilde, und irgendeiner Mode folge, sondern dass ich so bin.
Wie ich das lebe, was ich nun mehr leben kann, probiere ich gerade Stück für Stück. Was daraus wird, werde ich sehen. Als seiender Mensch fühlt es sich schon mal ganz gut an, auch als als alter Mensch. letzteres hat den Vorteil, dass mir im Unterschied zu anderen nicht mehr allzu viel am Zeug geflickt werden kann wegen Andersseins.
Nehmt das als Outing, wenn Ihr wollt oder auch nicht. Der Begriff ist mir eher weniger wichtig. Nehmt Veränderungen bei mir meinetwegen als Transition oder nicht, auch der Begriff ist mir nicht so wichtig. Wichtig ist, was ich über mich gelernt habe und nun konfliktfrei mir mir selbst leben kann.
So, das ging jetzt doch besser, als ich dachte. Und beim nochmal lesen ist das auch alles so ungefähr ok. Ob und wass ich in der Beziehung noch weiter, auch über mich, lerne, wird sich zeigen.
Ich habe nicht so viel Ahnung von dem Thema, aber selbst mir wird immer mehr bewusst, dass die Trennung zwischen „männlich“ und „weiblich“ nicht so strikt ist und nicht so strikt gesehen werden sollte. Ein ehemaliger Mitblogger, den ich leider aus den Augen verloren habe, nannte sich „genderfluid“. Damals habe ich das noch nicht verstanden. Jeder Mensch sollte sein dürfen, was, wer und wie er ist. Dass Du Deinen Weg gefunden hast bzw. dabei bist, ihn zu finden, freut mich sehr. Von manchen meiner cis Freund*innen würde ich mir mehr Gelassenheit beim Umgang mit diesem Thema wünschen. Es nimmt mir doch nichts weg, wenn jemand sich als nicht-binär empfindet und dies auch lebt.
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Du bist, wie Du bist, und das finde ich ziemlich gut.
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