Archiv | Nachdenkliches RSS feed for this section

„Na, plötzlich nicht binär?“

16 Feb

„Wohl auf den modischen queer-Zug aufgesprungen?“ Solche oder ähnliche Fragen hatte ich befürchtet von Menschen, denen gegenüber ich mich erklärt habe. Bisher habe ich solche Antworten nicht erhalten. Allerdings sind es auch noch nicht allzu viele Menschen, denen ich erklärt habe, dass ich kein Mann bin, genauer gesagt nicht nur ein Mann.

Ich selbst habe mir diese und ähnliche Fragen schon länger gestellt, so etwa seit eineinhalb bis zwei Jahren, seit ich mich näher mit dem Thema im Zusammenhang mit meiner Biografie befasst und vor allem Begrifflichkeiten kennengelernt und zunehmend verstanden habe. Letzteres ist wichtig, um zu verstehen, warum ich erst mit 66 soweit gekommen bin mich als non binary zu verstehen. Begriffe, an denen ich mich orientieren kann, mit denen ich mich einordnen kann, mich definieren kann, sind sehr wichtig für mich, vielleicht wichtiger als für andere. Andererseits, können, einmal hilfreich gewesen, Kategorieren auch wieder unwichtig werden, wenn ich einmal meinen Platz gefunden habe.

In den letzten, sagen wir vier bis fünf, Jahren habe ich mehr über Geschlechts-/Genderidentitäten, Beziehung, romantische und sexuelle Identität gelernt als in meinem ganzen Leben vorher.

Als Kind

ab Anfang der 60er, so ab 4, woran ich mich bewusst erinnere, gab es nur zwei Möglichkeiten. Mensch war Junge oder Mädchen, von Anfang an, und daran gab es nichts zu rütteln. Jungen hatten einen Penis, und Kinder, die keinen hatten, waren Mädchen. Trotzdem war irgendetwas anders. Andere Jungen hatten einen besten Freund, ich hatte eine beste Freundin. Später vielleicht ab 6 kam die Phase, wo Jungen Mädchen doof fanden, ich fand sie nett und, dass ich oft besser mit denen auskommen konnte als mit Jungen, die sich gelegentlich auch mal prügelten, was mir zutiefst zuwider war. Dass Mädchen nicht mitspielen durften, hab ich nie verstanden. Und ja, manchmal dachte ich daran, wie es wohl wäre ein Mädchen zu sein, und dass eventuell gar nicht so schlecht wäre. Aber an der Tatsache, ein Junge zu sein, schien ja nichts änderbar. Und so richtig Mädchen wollte ich auch irgendwie nicht sein, also meistens. Meiner damaligen besten Freundin ging es übrigens ähnlich, nur andersrum. Wir haben tatsächlich in dem Alter darüber gesprochen. Ab und zu verkleidetete ich mich auch mal weiblich. Trans, war damals, Anfang der 60er, vermutlich keiner Person, gleich welchen Alters in meiner Umgebung, ein Begriff. Irgendwann in sehr früher Jugend nahm ich Travestie, und dann auch „Transsexualität“ wahr, wobei das wohl für die meisten in meiner Umgebung, auch die gleichen Alters, eher das gleiche oder auch das selbe sein musste. Für mich nicht. „Transsexualität“ (die Anführungszeichen , weil ich, damals nicht, aber heute natürlich weiß, dass der Begriff falsch ist) war damals für mich immer mit Operation verbunden, Travestie waren für mich Männer. Dass es wohl auch damals Menschen gab, die nicht in dem Geschlecht lebten, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde, aber keine geschlechtsangleichende Operation gehabt hatten, war mir nicht klar.

Als Jugendlicher und junger Erwachsener

hatte ich durchgehend eher einen androgynen Körper, bis ca. 40 deutlich untergewichtig und eher zartgliedrig, obwohl 1,84 groß. Damit unterschied ich mich deutlich von den meisten meiner männlichen Altergenossen. Auch als Jugendlicher gab es Phasen, in denen ich mir vorstellte, wie es wäre das andere binäre Geschlecht zu haben bzw. in ihm zu leben. Auch da war für mich rational nichts anderes fassbar als eben diese beiden Möglichkeiten, Mann oder Frau, ganz oder garnicht. Meine beste Freundin aus Kindertagen traf ich übrigens als junger Erwachsener wieder, auch sie damals eher androgyn. Wir waren uns immer noch symphatisch, mehr allerdings nicht. Der Versuch, als „normaler“ heterosexueller cis-Mann zu leben fand auch äußerlich statt. Ich wollte zumindest wie einer aussehen, während ich versuchte als einer zu leben und hatte doch immer wieder das Bedürfnis auch anders, eben nicht so männlich sein zu müssen, glaubte aber, dass es von mir erwartet wurde und erwartete es auch von mir selbst, denn Frau und trans – bzw. was ich damals darunter verstand – war ich ja auch offensichtlich auch nicht. Nun, trans* im Sinne von nicht binär und damit nicht das mir bei Geburt zugewiesene Geschlecht habend war ich schon, ich wusste nur nicht, dass es das gibt und konnte mir deshalb dessen auch nicht bewusst werden. Das ist der Grund, weshalb ich so auf die Begriffe abgehoben habe und weshalb ich sie zumindest für mich und die Bewusstwerdung meiner Identität für so wichtig halte, und weshalb ich es überhaupt für wichtig halte (auch Selbst-)Definitionen zu finden, auch wenn es das Thema durch ihre Vielfalt für manche vielleicht verkompliziert. Hätte ich die Begriffe (die für mich jetzt zutreffenden werde ich später noch anführen) früher zur Verfügung gehabt, wären mir viele Konflikte mit mir selbst erspart geblieben, ich hätte leben können, was ich bin und nicht, was ich glaubte sein zu müssen.

Überhaupt Beziehungen, Sexualität

Da offenbar keine Frau, versuchte ich (eigentlich weitgehend mein bisheriges Leben lang) mich in die heteronormative cis-Männlichkeit zu fügen und sie zu leben. Wirklich funktioniert hat das nie, weil ich offenbar kein „richtiger“ Mann war, jedenfalls nicht nur, was ich damals zwar vielleicht unterbewusst ahnte, aber mir nie bewusst wurde, es vielleicht auch nicht bewusst werden lassen wollte, weil das ja nicht in mein binäres Schema passte. Nach zweieinhalb mehr oder weniger frustranen und kurzen cis heterosexuellen Beziehungen lernte ich Mitte 20 meine Frau kennen, wir lebten zusammen, hatten ab und zu ein bisschen Sex, heirateten wurden Eltern einer Tochter, hatten weiterhin ab und zu Sex. Unspektakulär aber immer noch zusammen, seit 40 Jahren, 35 davon verheiratet. Und nein, das empfinde ich keinesfalls als schlimm oder, dass sich das unbedingt ändern müsste, sondern das bin ich auch.

Etwas, was sich für mich zeitweise merkwürdig anfühlte, ist, dass ich mich zu Männern hin und wieder (wie ich es heut benennen kann) romantisch, teilweise auch erotisch aber nie wirklich sexuell hingezogen fühlte. Eine längere romantische und schwierige Beziehung zu einem leider früh verstorbenen Mann hatte ich. Wenn er noch leben würde, könnten wir jetzt vermutlich einiges klären. Ich mag durchaus Bilder von attraktiven Männern auch in erotischen Posen, aber sie ziehen mich nicht sexuell an, noch erregen sie mich, was bei Frauen und Personen, die ich weiblich lese, anders ist. Allerdings spielt Sexualität als Geschehen zwischen zwei Personen oder mehreren Personen sowieso eher eine Nebenrolle für mich. Gibt es, findet gelegentlich statt, ist dann auch befriedigend, ist aber nichts, ohne dass ich nicht leben könnte.

Dysphorie

Nur kurz. Ja gab es, zeitweise heftig und dabei nicht wirklich wissend was und warum und gibt es teilweise noch. Körperliche und vor allem soziale. Und ich hoffe, dass das anders wird.

Was ist nun anders als vorher?

Ich weiß nun, dass es mehr als Mann oder Frau, ob cis oder trans, gibt. Und ich weiß nun, dass ich mehr als Mann sein kann und darf. Ich weiß nun, dass ich trans im Sinne von demi male (man) sein kann, darf und bin.

Ich weiß nun, dass ich nicht nur hetero-, homo- oder bisexuell sein muss sondern auch demisexuell und von als Frauen gelesenen Personen angezogen sein kann, und dass das vollkommen richtig ist.

Ich weiß nun, dass ich romantisch im Sinne einer engen liebevollen Beziehung auch von männlich gelesenen Personen und überhaupt von allen Geschlechtern/Gendern angezogen sein kann ohne gleichzeitig sexuelles Interesse an ihnen zu haben, das ist panromatisch sein zu können ohne das „merkwürdig“ zu finden, was mir früher so ging.

Ich weiß nun, dass ich als Elter zusammen mit einer cis Frau kein heterosexueller cis Mann sein muss.

Das ist schon anders und befreiend. Und inzwischen weiß ich auch, dass ich mir das nicht alles einbilde, und irgendeiner Mode folge, sondern dass ich so bin.

Wie ich das lebe, was ich nun mehr leben kann, probiere ich gerade Stück für Stück. Was daraus wird, werde ich sehen. Als seiender Mensch fühlt es sich schon mal ganz gut an, auch als als alter Mensch. letzteres hat den Vorteil, dass mir im Unterschied zu anderen nicht mehr allzu viel am Zeug geflickt werden kann wegen Andersseins.

Nehmt das als Outing, wenn Ihr wollt oder auch nicht. Der Begriff ist mir eher weniger wichtig. Nehmt Veränderungen bei mir meinetwegen als Transition oder nicht, auch der Begriff ist mir nicht so wichtig. Wichtig ist, was ich über mich gelernt habe und nun konfliktfrei mir mir selbst leben kann.

So, das ging jetzt doch besser, als ich dachte. Und beim nochmal lesen ist das auch alles so ungefähr ok. Ob und wass ich in der Beziehung noch weiter, auch über mich, lerne, wird sich zeigen.

So viel nicht Geschriebenes

8 Apr

zuletzt gab es nur Reblogs. Gut, auch die lagen mir am Herzen. Aber eigentlich liegt mir so viel anderes noch am Herzen, so vieles ist passiert, existenziell Bedeutsames, vom Herzen geschrieben werden wollendes, bedrängendes.

Niederschreiben wäre nötig, um mich zu sortieren, aber Niederschreiben funktioniert nicht, weil ich so unsortiert bin – unter anderem.

Vielleicht ist dies ein (Wieder)Anfang.

Risiko?

6 Mai

Im Sinne von covid 19 Risikopatient zu sein ist relativ. Es heißt, bestimmte Risikofaktoren erhöhen die Wahrscheinlichkeit bei einer Ansteckung einen schweren, ggf. sogar tödlichen Krankheitsverlauf zu haben. Höchstwahrscheinlich ist auch die Wahrscheinlichkeit erhöht Spätfolgen davon zu tragen. Sofern man sich informiert, welches die Risikofaktoren sind, kann man sich natürlich Gedanken, machen was und in welchem Umfang auf einen selbst zutrifft. Ich habe das getan.

Zunächst ist ja öffentlich hauptsächlich vom Alter die Rede, oft auch noch von Vorerkrankungen, wobei meist Krebs genannt wird. Letzteres ist jedoch pauschal kein Risikofaktor. Sodann diverse Komorbiditäten und Lebensstilfaktoren. Fangen wir also an:

  • Alter: Ich bin 63. Das Risiko steigt wohl ab 50 kontinuierlich an, und je nach Interpretation gehört man mit 60 oder spätestens 65 zur Risikogruppe bezüglich des Alters. Da ich mangels Fitness, insbesondere in den letzten Jahren auch durch die Aktivitäten der schwarzen Dame bedingt, vermutlich biologisch älter bin als kalendarisch, würde ich mich hier mal dazuzählen.
  • Vorerkrankungen: Die Schilddrüsenkrebserkrankung dürfte als solche eher nicht mehr relevant sein, da es zur Zeit kein aktives Krankheitsgeschehen gibt, was auch eine kürzliche Nachsorgeuntersuchung ergeben hat. Eine Chemothrapie gab es nicht, die Behandlungen/Bildgebungen mit radioaktivem Iod, die schon mal zu einer vorübergehenden Beeeinträchtigung des blutbildenen Systems führen, was mit einer Immunschäche einhergehen kann, sind zu lange her, um noch relevant zu sein.
    Relevant könnte das erhöhte Herz-Kreislaufrisiko in Folge der langjährigen Unterdrückung des TSH als Rezidivprophylaxe sein. Herz-Kreislaufprobleme werden immer wieder als Risikofaktoren genannt. Ein erhöhter Blutdruck, prinzipiell auch ein Risikofaktor, ist gut eingestellt.
    Ebenfalls sehr wahrscheinlich relevant ist die als Folge der zweizeitigen Schilddrüsenentfernung verbliebene einseitige Stimmbandlähmung durch Beschädigung des nervus recurrens. Diese führt dazu, dass wegen des fehlenden kompletten Stimmritzenschlusses kein effektives, produktives Husten möglich ist, um Schleim aus den Atemwegen nach außen zu befördern, weshalb ich immer mehr oder weniger dauerverschleimt bin und vermehrtes Sekret nur los werde, wenn es bereits relativ weit nach oben transportiert wurde. Das macht anfälliger für Lungenentzündungen und erschwert vermutlich auch deren Ausheilung.
  • Im Blutbild zeigt sich ein konstant leicht erhöhter Wert für Leukozyten, was auf eine chronische Entzündung hindeuten könnte, die durchaus relvant sein könnte. Was genau der Auslöser ist, ist unbekannt. Es könnte sich um die Psoriasis oder auch um die chronische Sinusitis handeln. Da die späte Phase einer covid 19 Infektion bei schwerem Verlauf mit einer massiven Entzündungsreaktion einhergeht, könnte dies den Verlauf verkomplizieren.
  • Ferner bin ich übergewichtig an der Grenze zur Fettleibigkeit, was ebenfalls ein bedeutsamer Risikofaktor ist.
  • Inwiefern sich die Dauermedikation mit verschiedenen Schilddrüsenhormonen, dem nichtreversiblen MAO-Hemmer als Antidepressivum, Pregabalin zur Beherrschung der Beschwerden der Polyneuropathie und dem Betablocker auswirken, ist mir nicht bekannt.

Insgesamt rechne ich mich schon zur Gruppe der Risikopatienten und befürchte bei einer Infektion, besonders bei einem größeren Virus-Inokulum durchaus einen schweren Verlauf ggf. mit Beatmungspflichtigkeit.

Als Konsequenz sollte ich besondere Vorsicht hinsichtlich Situationen mit erhöhter Gefahr einer Infektion walten lassen und diese nach Möglichkeit ganz meiden. Andererseits möchte ich mich auch nicht in die totale soziale Isolation begeben, auch im Hinblick auf die Depressionserkrankung. Ich bin damit auch abhängig vom solidarischen Verhalten meiner Umgebung und sehe die neusten Entwicklungen z.B. der Verweigerung Mund-Nase-Bedeckungen zu tragen mit großen Bedenken.

Neben der ziemlich konsequenten Beachtung der Hygiene habe ich meine Sozialkontakte eingeschränkt aber nicht eingestellt. Wo ich früher 3 mal oder auch öfter pro Woche Einkaufen war, habe ich dies im wesentlichen auf einen Einkauf reduziert. Soweit es nicht Dinge des ganz alltäglichen Bedarfs, der aus dem Supermarkt bzw. Discounter zu decken ist, betrifft, bestelle ich vermehrt online. Während des Einkaufs versuche ich Sprechkontakt weitestgehend zu vermeiden, trage eine Mund- und Nasenbedeckung, sofern ich von einer höheren Kundenfrequenz ausgehen muss, auch eine FFP1-Maske ohne Ventil.
Arzt- und Apothekenbesuche sind auf allernötigste reduziert. Kontakte zu den Nachbarn finden praktisch ausschließlich im Freien und auf deutlich größere Entfernung statt, wo die Übertragungswahrscheinlichkeit sehr gering ist.

Soweit meine Adaptation an das von mir eingeschätzte Risiko eines schweren Verlaufs einer covid 19 Infektion. Wie ich damit leben, was das mit mir und der Depression macht ist Thema eine eigenen Beitrages.

Zitat

Kaum gefunden

20 Nov

schon dabei wieder verloren zu gehen.

Es wird wohl ein Blog zum Rückwärtslesen werden.

Ich bekam den Blog empfohlen anlässlich einer Veranstaltung, bei der es um Digitalisierung und Krebsthemen ging. Ich habe schon etliche Krebsblogs in meiner Blogosphäre gehabt, dies war ja anfangs selbst einer.

Dieser hier scheint ein ganz besonderer zu sein, geschrieben von einer ganz besonderen Frau, die sich nun verabschiedet.

via Palliativstation

Wie wunderbar

30 Okt

Ein Achtel Lorbeerblatt ist wieder online. Aktiv ist der Blog auf absehbare Zeit vermutlich nicht, aber die vorhandenen Beiträge sind endlich wieder zugänglich. Mir hat dieser Liedermacherblog immer sehr viel Freude bereitet, und ich werde hin und wieder sicher dort stöbern, jetzt, wo es wieder möglich ist.

Wertvoll war für mich immer auch die Möglichkeit Beiträge zu einem bestimmten Künstler zu suchen und einer liegt mir ganz besonders am Herzen: Christof Stählin. Zu seinem Tode gab es eine Reihe von Beiträgen dort, die von Weggefährten Christof Stählins verfasst wurden. Ich habe sie damals hier rebloggt. Leider führten die Links dann bald in’s Leere, als der Blog vom Netz ging. Nun also findet man die Beiträge unter seinem Namen wieder. Das ist für mich umso wertvoller, weil man sonst im Netz von dem gorßen Poeten Stählin nur sehr wenig findet.

Dabei ist eines meiner Lieblingsstücke von Stählin, das man sicher mehrfach hören muss um es vollumfänglich zu erfassen. Ich entdecke es mit jedem Hören neu.

https://einachtellorbeerblatt.wordpress.com/2017/05/10/christof-staehlin-seine-lieder-wegbegleiter-erinnern-sich-leise-leise-leise/

 

 

 

Prävention

11 Sept

Im Moment läuft gerade eine große Kampagne zur Primärprävention von Krebserkrankungen an, im wesentlichen vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg und der Deutschen Krebshilfe betrieben. Hintergrund ist, dass theoretisch(!) etwa 40% aller Krebsneuerkrankungen vermieden werden könnten, wenn alle(!) Menschen sich in ihrem Lebensstil entsprechend optimal(!) verhalten würden. Damit ist aber auch schon gesagt, dass diese Zahl eine wirklich theoretische ist, die in der Praxis weit davon entfernt ist, erreichbar zu sein. Dies wird bei der Kampagne allerdings nicht erläutert, denn 40% klingt natürlich besser als die 10-20%, die sich vermutlich bei einiger Anstrengung tatsächlich maximal erreichen ließen.

Die 40% würden nämlich bedeuten, dass niemand mehr raucht, alle weitgehend auf Alkohol verzichten, alle ihr Idealgewicht erreichen und halten, alle sich maximal gesund ernähren, alle mindestens 5 mal 20min in der Woche Sport treiben, alle genügend schlafen und einiges mehr, und zwar eben alle und alles gleichzeitig. Da im wesentlichen ohne weitere Erläuterung von diesen 40% vermeidbaren Krebserkrankungen zu reden, halte ich für etwas unredlich.

Nun macht ja Primärprävention durchaus Sinn. Jede verhinderte Krebserkrankung ist verhindertes Leid, nicht nur für die Erkrankten selbst sondern auch für die in aller Regel mitbetroffenen Angehörigen und Bezugspersonen. Jede verhinderte Krebserkrankung bedeutet auch eine Menge eingesparte Kosten, was die eigentliche Behandlung der Erkrankung und ihrer Folgen (Langzeitfolgen, psychische Störungen ect. auch der Mitbetroffenen) betrifft, aber auch gesellschaftliche Folgekosten durch Arbeitsausfälle, Frühverrentung etc. Ein Aspekt, an dem man einfach nicht vorbei kommt, und wenn es nur darum geht, den verbliebenen Erkrankten eine optimale und leider auch immer teurer werdende Therapie zu ermöglichen (die allerdings auch dazu beträgt, dass viele Erkrankte wieder oder länger ins Arbeitsleben zurückkehren können und dadurch wiederum gesellschaftliche Folgekosten abgemildert werden).

Allerdings sollten solche Kampagnen zu zwei Dingen nicht führen, die leider immer öfter zu beobachten sind: 1. Victim blaming und 2. ein massiver gesellschaftlicher Zwang zur Selbstoptimierung.

Erstens kann man eine konkrete Krebserkrankung einer konkreten Person praktisch nie auf eine konkrete Ursache zurückführen. Einem einmal erkrankten Raucher die Schuld an seiner Erkrankung zuzuweisen ist schlicht Blödsinn, weil eben auch lebenslange Nichtraucher an Lungenkrebs erkranken können, ohne dass eine konkrete Ursache fassbar wäre und andererseits auch Kettenraucher ohne eine Lungenkrebserkrankung davon kommen können. Exakt das gleiche gilt für alle anderen Lebensstilfaktoren. Auch die penibleste Einhaltung sämtlicher Empfehlungen dazu verhindert nicht sicher, irgendwann von irgendeiner Krebserkrankung betroffen zu sein. Es geht immer nur um Wahrscheinlichkeiten und Verringerung von Risiken, was durchaus möglich ist. Die Schuldfrage lässt sich nicht klären, und für die Betroffenen ist sie auch überhaupt nicht mehr relevant.

Obwohl dies insbesondere den Fachleuten rund um Krebserkrankungen bekannt sein sollte, wird bisweilen sogar von diesen victim blaming, also Schuldzuweisung an die Betroffenen betrieben, was nicht ohne Auswirkung auf das Verhalten und die Meinungen in der Gesellschaft insgesamt bleibt. Hier tut allgemeine Aufklärung not, die am besten in Verbinung mit einer Kampagne wie der jetzigen betrieben würde, was aber leider nicht der Fall ist. Leider ist eben zu erwarten, dass sich der Trend, Erkrankten, nicht nur von Krebs Betroffene, die Schuld für ihre konkrete Erkrankung zuzuschieben, verbunden leider auch oft mit der Forderung nach einer Sanktionen im Erkrankungsfalle, fortsetzt. Das bedeutet letztlich Menschen dafür bestrafen zu wollen, dass sie krank geworden sind, obwohl im konkreten Falle nicht nachgewiesen werden kann, was genau und ob ein konkretes, eindeutig benennbares Fehlverhalten die Ursache war.

Zweitens ist die Forderung nach einem gesunden Lebensstil natürlich auch gleichzeitig eine Forderung nach Selbstoptimierung. Das ist zunächst einmal nicht schlimm, solange das nicht zur gesellschaftlichen Ächtung derer führt, die dieser Forderung nicht oder nicht im vollen Umfang (was letztlich auch gar nicht möglich ist) nachkommen, aus welchen Gründen auch immer, die nicht bewertet werden sollten. Bodyschaming, religiös überhöhte Ernährungsideologien, die genau als solche aggressiv vertreten werden, manisches Sporttreiben mit Ausgrenzung derer, die sich nicht daran beteiligen wollen oder können, und andere Auswüchse sind letztlich die mittelbaren Folgen eines verstärkten gesellschaftlichen Zwanges zur Selbstoptimierung.

Ob und wie weit ich mich selbst optimieren kann und will muss am Ende immer noch ich selbst und ohne Zwang entscheiden können. Sanktionen sind nicht sinnvoll, Belohnungen im Einzelfall ggf. schon. Forderungen nach höheren Beiträgen zur Krankenversicherung für Bewegungsmuffel oder Raucher wurden durchaus schon laut, sind aber ganz sicher der falschen Weg und führen am Ende zu Diskriminierungen. Belohnung in Form von Bonusprogrammen können hingegen einen positiven Effekt bringen, sollten aber richtig konzipiert sein.

Zitat

Akzeptanz  — Vom Suchen und Finden

7 Sept

Akzeptanz ist sicher ein gutes Mittel. Wie viele gute Werkzeuge, die ich inzwischen kenne, fällt es mir auch bei diesem so  schwer es konsequent anzuwenden.

Von der Idee, dass die Depression eines Tages völlig verschwunden sein könnte, habe ich mich zunächst mal schon verabschiedet. Soweit kann ich das akzeptieren. Die Aufgabe der Therapie sowohl der medikamentösen als auch der Psychotherapie besteht für mich jetzt darin, mit ihr leben zu können, besser mit ihr leben zu können als bisher. Das funktioniert im Prinzip – in sehr kleinen Schritten – auch. Die Hoffnung ist, dass die Pharma hilft die kongnitiven Werkzeuge besser einsetzen zu können. Da hat sich eine Veränderung ergeben, deren Auswikung nun abzuwarten sind.

via Akzeptanz  — Vom Suchen und Finden

So ist das und ganz anders

28 Jul

mit der Depression.

Jede Depression ist anders, aber alle sind auch wieder irgendwie gleich. Ich bin, wie meist, durch Zufall bzw. weil ich auf Facebook der ACHSE (Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen) folge und von dort über einen weiteren Umweg auf eine Podcastfolge gestoßen, die mich sehr berührt hat, ja in bestimmter Beziehung auch getriggert hat, aber das tut z.B. auch meine Therapie gelegentlich.

Wichtig an diesem Beitrag finde ich zum einen die Essenz, dass offensiver Umgang mit der Erkrankung Depression, wie auch mit anderen schweren Erkrankungen im Mittel vermutlich mehr Nutzen als Schaden hervorbringt, obwohl Schaden durchaus auch möglich ist, wie ich kürzlich am eigenen Leibe erfahren habe.

Wichtig ist auch, dass aufgezeigt wird, wie schwierig bis unmöglich es für Betroffene selbst ist zu verstehen, warum man sich gerade so (schelcht) fühlt, wie man sich fühlt, und dass es somit für die Umgebung noch schwieriger ist. Wie letztere damit umgehen kann oder auch nicht umgehen sollte, ist ebenfalls Thema.

 

„Eine Depression ist ’ne sehr, sehr einsame Kiste“

Schaut Euch den Beitrag an, wenn Ihr als Nichtbetroffene eine Ahnung erhaschen wollt, was da mit Menschen passiert, die betroffen sind, wenn Ihr Euch informieren wollt, was ihr tun könnt *** Spoiler: Ziemlich wenig, aber in der Nähe bleiben ***, wenn ihr als Betroffene eine weitere Perspektive erfahren wollt („kenne ich“ oder auch „ach so kann das auch sein“). Oder am besten hört auch den Podcast, der eindrucksvoller ist, auch wenn es bisweilen anstrengend und er fast genau 2 Stunden lang ist. Gelangweilt habe ich mich zumindest nicht.

Die anderen …

22 Jun

„Andere haben das auch geschafft“ „Schau dir den …. an, wie der wieder zurückgekommen ist“

Es sind nicht nur die „guten Ratschläge“ oder auch die gut gemeinten, die mir bisweilen gehörig auf den Geist gehen. Auch die „guten“ Beispiele, die mir aus allen möglichen Quellen gewollt oder ungewollt um die Ohren gehauen werden, bewirken zimelich oft das Gegenteil dessen, was sie berwirken sollen, sie demotivieren mich heftigst.

Mir ist klar, dass sie anders gemeint sind. Mir ist klar, dass es Menschen gibt, auf die sie tatsächlich motivierend wirken. Aber die teilweise auch als ganz Kampagnen gefahrenen Beispiele von Leuten, die „es geschafft haben“ bewirken nicht nur positives. Das Gefühl, verglichen zu werden oder mich vergleichen zu sollen, lähmt mich mehr als es mich motiviert. Die Erfahrung aus der Krebsselbsthilfe lehrt mich, dass man mit leuchtenden Beispielen eher vorsichtig sein sollte. Positive Erfahrungen sind gut und können anregen an der eigenen Situation zu arbeiten, können Wege aufzeigen, an die man vorher nicht gedacht hatte. Es sind aber immer individuelle Wege, die bei einer Person gepasst haben mögen, aber keineswegs eine Blaupause sein müssen und auch oft nicht sind, die auf alle Menschen zu passen. Das muss aber auch kommuniziert werden, sonst wird aus Anregung und Motivation schnell Frust über vermeintliches eigenes Versagen.

Besonders kritisch finde ich das bei öffentlichen Kampagnen, wie ich sie in Krankenkassenzeitungen, im Web – z.B. auch bei einem großen Selbsthilfe-Dachverband – sehe. Diese Kampagnen werden nämlich nicht nur von den Betroffenen selbst wahrgenommen, die dann für sich entscheiden könnten, ob das Beispiel für sie überhaupt passt. Sie werden auch von anderen, nicht Betroffenen wahrgenommen und bisweilen den Betroffenen um die Ohren gehauen. Das ist dann der Punkt, wo nicht ganz so resiliente Menschen in Schieflage geraten und anfangen sich selbst zu fragen, ob sie nicht schuld haben, dass es bei ihnen anders gelaufen ist. Bisweilen wird ihnen genau diese Frage auch von anderen gestellt, leider auch manchmal von Therapeuten, die eigentlich wissen sollten, dass man damit je nach Gemütslage auch Schaden bis zur Triggerung anrichten kann. Das erzeugt Schuldgefühle, und Schuldgefühle sind das letzte, was jemand mit angeknacksten Selbstbewusstsein in einer schwierigen Situation gebrauchen kann.

Unter anderen mit solchen Selbstvorwürfen bin ich in die Depression gerutscht, die mich jetzt seit mindestens 3 Jahren begleitet. Rational ist mir völlig klar, dass ich mich kaum mit einem 25 Jährigen vergleichen kann, der nach Krebserkrankung und anstrengender Therapie einen verständnisvollen Arbeitgeber gefunden hat, der ihn maximal förderte, und dann ziemlich erfolgreich ins Arbeitsleben eingestiegen ist. Die Ratio ist aber leider nicht immer das bestimmende Element im Kopf und im Herz, besonders nicht bei Menschen, die zu depressiven Phasen neigen, was nach und bei chronischen Erkrankungen öfter mal vorkommt und mit jedem vorangegangenen Misserfolg nicht unbedingt besser wir.

Rational ist mir vollkommen klar, dass man gute Ausgangsbedingungen nicht vorfinden sondern auch aktiv aufsuchen kann. Nur muss man sie eben auch finden können, manchmal gibt es sie auch einfach nicht, und der Aufbruch allein ist eine nicht immer zu bewältigende Anstrengung.

Wünschenswert wäre schon mal zumindest bei den öffentlichen „positiven Beispielen“, wenn darauf hingewiesen würde, dass es sich nicht um pauschal anwendbare Wege handelt, sondern dass solche Wege immer individuell zu beurteilen sind. Vielleicht wäre auch die Redukion auf die Fakten und der Verzicht auf die Heraushebung als besonders leuchtende und erstrebenswerte Beispiele gut.

Der zunehmende Druck zur Selbstoptimierung, der sich mir an den verschiedensten Stellen immer wieder aufdrängt, geht mir auf den Geist. Anderen mag es leicht fallen, das für sich zu ignorieren. Mir fällt das schwer.

Btw. für die Entwickler von Apps: Ich wünsche mir einen Schrittzähler, der genau und vor allem nur das macht, was der Name sagt: Schritte zählen. Ich möchte nicht ermuntert werden beim nächsten Mal noch mehr zu „leisten“, ich möchte keine Fitnesstips und auch nicht vorgerechnet bekommen, wieviele Kalorien ich verbrannt habe. Ich brauche nur eine Zahl, weiter nichts.

Tatze ist tot

11 Jun

Er ist gestern am späten Abend zuhause gestorben. Mein Philosoph, Tröster, Lehrer.

Es ist für mich noch sehr schwer zu begreifen. Ich will nicht, dass es so ist, ich werde es aber akzeptieren müssen. Es wird eine Weile dauern, bis ich es kann.

Alles daran ist ungerecht und unverdient. Das fängt mit seinem Beginn an, als vernachlässigtes, sehr krankes Katzenkind mit ca. 9 Wochen von einem Bauernhof geholt. Lange in Quarantäne mit Luna als einziger Gefährtin gepflegt und aufgepäppelt worden, endlich mit ihr zusammen von uns aufgenommen. Mit zweieinhalb bei einem (Auto?)unfall oder ggf. auch einem gewalttätigen Angriff schwer verletzt und fast gestorben, mit zwei aufwändigen und gefährlichen Eingriffen gerettet, gekämpft, wieder gesund und kräftig geworden.  Ein friedliebender von allen als lieb und einfach nur gut bezeichneter Kater, der selbst aktiv keine andere katze angegriffen hat, holt sich mit großer Sicherheit bei einem Streit mit einer anderen Katze dieses Mistvirus, das gar nicht zur Erkrankung führen muss aber ausgerechnet bei ihm, dem jungen Seelentier, ausbricht und gleich die Form mit dem schlimmsten, schnellsten und hoffnungslosesten Verlauf auslöst.

Der Kater, der mir soviel gegeben hat, mein Therapeut, der mich einiges gelehrt hat und das selbst im Tod noch tut, indem er so tiefe Gefühle auslöst, mich weinen und trauern lässt, Gefühle, die mir die Depression zwischenzeitlich fast vollständig geraubt hatte, und die jetzt unendlich weh tun.

Ich weiß noch nicht, was ich ohne Dich tun soll. Es wird schwer, sehr schwer. Danke für alles, Tatze, Kurti, Ron, mein starker Bär.

Manches hab ich Dir schon zu Lebzeiten gesagt, gottseidank, einiges werde ich Dir noch sagen, wenn die Zeit dafür gekommen ist.