begeistern mich nicht, haben mich noch nie begeistert, auch nicht, bevor ich von einer Krebserkrankung betroffen war.
Ich bin ja gelernter Biologe und bin im Studium fast zwangsläufig mit Tierversuchen in Berührung gekommen. Ich hab immer versucht, sie für mich soweit wie möglich zu vermeiden, was nicht in allen Fällen möglich war. Letztlich hat mich die Verwendung von tierischem Material (in dem Fall frisch zu präpariendes Rinderherz aus dem Schlachthof) dazu bewogen eine ganze Weile (ovo-lacto)vegetarisch zu leben. Auch wenn ich mittlerweile wieder Fleisch esse, dürfte sich das erheblich unter dem bundesdeutschen Durchschnitt bewegen.
Nun soll es in den nächsten Tagen eine Anhörung zu einer Petition einer europäischen Bürgerinitiative namens „Stop Vivisection“ geben, die zum Ziel hat tierxperimentelle Forschung generell und in allen Fällen zu verbieten. Bei allem Verständnis und bei aller Sympathie für den Tierschutz halte ich das für gelinde gesagt völligen Schwachsinn, so hart muss ich das leider ausdrücken. Und das trifft mich als von einer Krebserkrankung Betroffener ganz besonders. Allein der Titel der Initiative suggeriert etwas, was so definitiv nicht zutrifft. Die Zeiten vereinzelter Tierexperimente, die wirklich den Charakter von Vivisektionen hatten sind längst vorbei. So etwas wird heutzutage keine Genehmigung mehr erhalten, und in der Arzneimittelforschung gilt dies sowieso. Man kann durchaus die Frage stellen, ob Tierexperimente für Kosmetika wirklich und vor allem in größerem Umfang sein müssen. Für die medizinische Forschung sind sie bis auf weiteres unverzichtbar.
Keines, aber wirklich keines der neuentwickelten Krebsmedikamente, die zu einer dramatischen Verbesserung der Lebenserwartung und auch der Lebensqualität Betroffener geführt haben, wäre ohne tierexperimentelle Forschung möglich gewesen. Es hat erhebliche Anstrengungen gegeben, den Einsatz von Versuchstieren zu begrenzen, und es gibt durchaus Fortschritte in dieser Richtung. Aber keine der bisher entwickelten Alternativen kann Tierexperimente in bestimmten Phasen der Entwicklung völlig ersetzen, und das wird auf absehbare Zeit so bleiben. Ich bezweifle wirklich sehr ernsthaft, dass alle Zeichner dieser Petition im Ernstfall bereit wären auf alle Medikamente und Therapien, die unter Einsatz von Versuchstieren entwickelt wurden, zu verzichten, weil dann schlicht und ergreifend fast gar keine mehr übrig blieben, zumal bei lebensbedrohlichen Erkrankungen wie Krebs. Im Übrigen müssten sie sich dann in der Regel selbst einer Vivisektion unterziehen, weil so ziemlich alle modernen Narkotika ebenfalls unter Einsatz von Tierexperimenten entwickelt wurden und sie sich konsequenterweise dann bei vollem Bewusstsein operieren lassen oder eben auf eine Behandlung verzichten müssten.
Als selbst davon Betroffener und in der diesbezüglichen Selbsthilfe Tätiger liegt mir der Schilddrüsenkrebs natürlich besonders am Herzen. Schilddrüsenkrebspatienten in fortgeschrittenen Stadien, in denen eine Radiojodtherapie mangels nicht mehr vorhandener Jodspeicherung in den Tumorzellen nicht mehr griff, und bei denen die operativen und radioonkologischen Möglichkeiten ausgeschöpft waren, stand in der Vergangenheit im Gegensatz zu den meisten anderen Krebserkrankungen keine wirksame medikamentöse Behandlung mehr zur Verfügung. Klassische Chemotherapeutika waren und sind unwirksam. Erst in den letzten Jahren taten sich mit den neu entwickelten Tyrosinkinaseinhibitoren zum ersten Mal neue Optionen auf, die auch für diese Patienten noch die Aussicht auf zusätzliche Lebenszeit bei erträglicher Lebensqualität eröffneten. Weitere befinden sich in der Entwicklung bzw. in Zulassungsstudien. Wohlgemerkt, auch diese Medikamente haben erhebliche Nebenwirkungen, aber sie sind besser als gar keine Option, und ich kenne persönlich mehrere Betroffene, die bereits längere Zeit damit zurechtkommen und froh über diese Möglichkeit sind. Diese Option stünde ohne tierexperimentelle Forschung definitiv nicht zur Verfügung und eine Weiterentwicklung in Richtung noch besserer Wirksamkeit und ggf. Verträglichkeit wäre ebenfalls in Frage gestellt.
Bei anderen Krebserkrankungen, bei Autoimmunerkrankungen und anderen schweren und lebensbedrohlichen Erkrankungen ist die Situation ähnlich. Ohne tierexperimetelle Forschung keine weitere Verbesserung der Versorgung der Betroffenen.
Ich hoffe inständig, die Europaparlamentarier werden sich nicht durch völlig überzogene Darstellungen und Fehlinformationen blenden lassen und sich umfassend informieren. Ich werde in jedem Fall noch versuchen einige von ihnen mit einem persönlichen Anschreiben zu erreichen, allerdings drängt die Zeit, die Anhörung wird am 11.5. stattfinden.
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