Da ich ähnliches grad an anderer Stelle las, kam mir dieser Satzanfang wieder in den Sinn.
Er bezieht sich auf meinen Großvater, Schreinermeister und Schlitzohr.
Vollständig ging er (ungefähr wörtlich) so: „Du magst der schlauere Geschäftsmann sein, aber Dein Schwiegersohn ist der bessere Schreiner“ und war der Ausspruch eines seiner Kunden.
Und im Rückblick – schon vor vielen Jahren zurückgeblickt – stimmt es wohl.
Als kleines Kind war mein Großvater für mich der Größte. Die ganz Stadt kannte ihn, und er war wegen seiner bisweilen derben Scherze beliebt und gefürchtet zugleich. Als Sechsjähriger war ich stolz mit diesem Original im alten VW Käfer nachmittags mit zur Kundschaft genommen zu werden.
Mein Vater war für mich damals eher der unauffällige, ruhige, überwiegend bescheidene Mann, der für ziemlich kleines Geld bei meinem Opa angestellt war. Dass er damals schon Schreinermeister, und zwar ein hervorragender Schreinermeister war, war mir nicht recht bewusst, mein Opa war eben der Chef.
Als ich acht war, starb mein Großvater mit 68 Jahren ziemlich plötzlich. Meine Eltern mussten den Betrieb übernehmen, was insbesondere meiner Mutter viele schlaflose und tränenreiche Nächte bescherte, weil die Buchführung meines Großvaters, sagen wir beschönigend ziemlich kreativ gewesen sein muss. Ich bekam von all dem wenig bis gar nichts mit.
Erst später ging mir langsam auf, dass mein Vater schon vorher eigentlich der Grund für den guten Ruf der Schreinerei in der Stadt gewesen sein musste. Viertel-, halb oder ganzgewendelte Treppen aus diesem Hause waren wohl schon länger legendär gewesen, weil sie sich, wie ich später auch aus eigener Anschauung feststellen konnte, unglaublich gut liefen. Als Kind dachte ich natürlich Treppe sei Treppe. Aber ich habe gelernt, dass es einen gewaltigen Unterschied machen kann, ob insbesondere eine gewendelte Treppe von einem Könner oder von einem Dilettanten verzogen und angefertigt wurde. Und damals gab es noch keine Computerprogramme, die solche Treppen in ein gegebenes Treppenhaus harmonisch hineinoptimierten, sodass sie sowohl optisch gefällig als auch gut und sicher zu begehen waren.
Darin, Treppen zu bauen, die sich sowohl in der Lauflinie als auch weiter seitlich wirklich gut begehen ließen, zum Beispiel war mein Vater Meister. Aber auch viele andere Stücke, Möbel, Fenster, Türen, komplette Ladeneinrichtungen, ein Schulhörsaal u.v.a. waren im Nachhinein betrachtet großartige Arbeiten, für die ich ihn heute mehr denn je bewundere. Umso mehr, als mir bewusst ist, dass kein CNC-gesteuerstes Bearbeitungszentrum damals an solchen Arbeiten beteiligt war, alle Pläne im Kopf meines Vaters entstanden, alle Zeichnungen von ihm angefertigt wurden und die Stücke mit, im Vergleich zu heute, geradezu primitven Inventar an Werkzeugen und Maschinen realisiert wurden.
An manch einer Arbeit, an ziemlich vielen sogar, war ich aushelfend beteiligt. Und ein wenig trauere ich schon, dass ich nicht diesen wunderbaren Beruf ergriffen habe, hauptsächlich aus der Furcht, wie er auch das eine oder andere Fingerglied zu verlieren, was bei den Sicherheitsstandards des in den 60ern und Anfang der 70er in großen Teilen noch aus der unmittelbaren Nachkriegszeit stammenden Maschinenparks sicher wahrscheinlicher war als zu einer Zeit, in der ich selbst mit der Ausbildung fertig gewesen wäre. Das war mir aber als junger Teenager und Gymnasiast, der eigentlich auch gern Wissenschaftler werden wollte, nicht bewusst. Außerdem wollte ich angesichts der damit verbunden Unwägbarkeiten und Probleme, die ich in meinem Elternhaus erlebte, eigentlich nie selbständig werden. Eine fast abgeschnittene Fingerkuppe und eine nicht ganz unproblematische Selbständigkeit haben mich seit vielen Jahren dann doch eingeholt – leider nicht als Schreiner.
Mein Vater wurde in vielem mein Vorbild. Im Nachgang betrachtet in viel zu vielem. Ich war und bin eben nicht mein Vater und konnte nie er sein und hätte nie wie er sein können. Ich musste wohl ziemlich alt werden, um das zu erkennen. Ich bin für die heutige Zeit nicht wirklich alt, aber aber als mein Großvater so alt war wie ich jetzt, war er für mich ein „alter Mann“. Es ist eine bisweilen schmerzliche Erkenntnis. Vielleicht ermöglicht sie mir jedoch noch einfach nur ich zu sein.